: Gefängnis wegen einer Unterschrift
In Damaskus stehen vier Menschenrechtler vor Gericht. Das Verfahren wird zum sicheren Treffpunkt für Mitglieder der syrischen Opposition
Aus Damaskus Kristin Helberg
Der Justizpalast in Damaskus ist ein imposantes Gebäude. Über dem hohen Eingangsportal – dort, wo man Justitia als Symbol für Gerechtigkeit suchen würde – hängt ein Porträt des früheren Präsidenten Hafis al-Assad. Im Innern eilen Anwälte in dunklen Anzügen an orientierungslosen Angehörigen in bodenlangen Galabias und dunkelgrün uniformierten Sicherheitsbeamten vorbei. Im ersten Stock ist der Andrang besonders groß. Hier tagt das Oberste Strafgericht, vor dem sich dieser Tage vier bekannte Regimekritiker verantworten müssen: Michel Kilo, Autor und führender Vertreter der Zivilgesellschaft, der Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni sowie die Oppositionellen Kamal Labwani und Mahmud Isa. Die Anklagepunkte reichen von der Verbreitung falscher Informationen bis zur Gefährdung der inneren Sicherheit – es drohen Haftstrafen zwischen drei Jahren und lebenslänglich.
Wer in der syrischen Opposition etwas auf sich hält, kommt zu den Verhandlungen. Riad Turk zum Beispiel, der kleine, alte Herr mit dem Hörgerät und den wachen Augen, der 22 Jahre seines Lebens in syrischen Gefängnissen verbrachte und dessen sanftmütige Art ihn zum Nelson Mandela von Syrien machte. Oder Riad Seif, der ehemalige Parlamentsabgeordnete, der 2001 im gleichen Gerichtssaal verurteilt wurde und seit seiner Freilassung vor einem Jahr rund um die Uhr vom Geheimdienst überwacht wird. Die Aktivisten können sich nirgendwo in Syrien so einfach treffen wie hier. Denn während der Sicherheitsapparat private Versammlungen von mehr als fünf Regimegegnern in der Regel torpediert, kann er ihre Teilnahme an öffentlichen Prozessen nicht verhindern. So gerät ausgerechnet der Justizpalast, in dem Oppositionelle zu Gefängnisstrafen verurteilt werden, zu einem wichtigen Treffpunkt der politischen Szene.
Die weiße Gittertür öffnet sich, und ein Sicherheitsbeamter winkt die Wartenden in den Gerichtssaal. Diplomaten und europäisch aussehende Menschen haben Vorrang. Die Familien der Häftlinge ertragen es geduldig – sie wissen, dass die Ausländer durch ihre bloße Anwesenheit den Angeklagten helfen. Vor den drei Richtern liegt eine lange Reihe dicker Akten, darunter die von Anwar al-Bunni und Kamal Labwani. Während die gewöhnlichen Kriminellen in einer Art Käfig zusammengesperrt sind, werden die beiden politischen Gefangenen getrennt hereingeführt. Angesichts der vielen bekannten Gesichter im Saal lächeln sie und heben zum Gruß ihre aneinandergeketteten Hände. Ein Polizist nimmt ihnen die Handschellen ab, und Bunni tritt vor den Richter. Er ist angeklagt, falsche Nachrichten verbreitet zu haben, ohne Genehmigung einer internationalen Vereinigung beigetreten zu sein und öffentliche Stellen beleidigt zu haben. Er stehe zu dem, was er über Folter in syrischen Gefängnissen und die Meinungsfreiheit in Syrien gesagt habe, sagt der schmächtige Mann. Es gebe Beweise dafür, dass Häftlinge misshandelt würden. Indem er auf Missstände in seinem Land hinweise, mache er von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch.
Spontaner Beifall bricht aus, der Richter lässt den Saal räumen. Nur Anwälte, Diplomaten und sonstige Ausländer dürfen bleiben. Auch Susanne Drake rührt sich nicht. Die Deutsche arbeitet für die belgische Nichtregierungsorganisation Ifias, die das von Bunni geleitete und von der EU finanzierte Zentrum zur Förderung der Zivilgesellschaft aufgebaut hat. Eine Woche nach seiner feierlichen Eröffnung wurde es geschlossen. „Offiziell fehlten Genehmigungen“, sagt Drake, „aber ich denke, es fehlte vor allem eine einflussreiche Figur in der syrischen Regierung, die Anwar unterstützt hätte.“ Zu dem Gerichtstermin sei sie als Freundin der Familie Bunni gekommen, so Drake.
Als Nächstes geht es um Kamal Labwani. Der Arzt saß schon von 2001 bis 2004 im Gefängnis. Nach seiner Entlassung reiste er durch Europa und die USA, um über Syriens politische Lage zu berichten. Nachdem er in Washington auch mit ranghohen Vertretern der Bush-Regierung zusammengekommen war, wurde er bei seiner Rückkehr im November 2005 verhaftet. Der Vorwurf, er habe ausländische Staaten ermutigt, Syrien anzugreifen, kann „lebenslänglich“ bedeuten. Die Verteidigung stützt sich auf das Besuchsprogramm Labwanis. Mit Hilfe der amerikanischen Botschaft in Damaskus will sie nachweisen, dass syrische Regierungsvertreter vergleichbare Reisen unternommen haben. Labwani selbst betont, er habe zwischen den USA und Syrien vermitteln wollen. Jetzt hängt sein Schicksal von diesem politischen Verhältnis ab. Je feindseliger Washington Damaskus gegenübersteht, desto härter wird Labwanis Strafe ausfallen, vermuten Beobachter. Sollten sich die Beziehungen entspannen, könnte Labwani als Geste des guten Willens freikommen.
Die Prozesse gegen Michel Kilo und Mahmoud Isa werden zwei Tage später gar nicht erst eröffnet. Zwei flüchtige Mitangeklagte erscheinen nicht vor Gericht, und so wird die Verhandlung auf den 19. 2. verschoben. Alle vier haben die Beirut-Damaskus-Erklärung unterschrieben, in der libanesische und syrische Intellektuelle die Normalisierung des Verhältnisses ihrer beiden Ländern fordern. Weil das Dokument angeblich von „Syriens Feinden“ im Libanon initiiert wurde, nahm der syrische Geheimdienst 10 der etwa 500 Unterzeichner fest. Da dieses Mal nur die beiden politischen Häftlinge vor Gericht stehen, müssen sie in den vergitterten Raum. Beim Rausgehen dürfen Kilo und Issa kurz ihre Verwandten und Anwälte begrüßen. Es gehe ihm gut, versichert Kilo, er habe im Gefängnis endlich abgenommen. Seinen trockenen Humor habe er jedenfalls nicht verloren, freut sich eine Anwältin. Dann geht es zurück ins Zentralgefängnis Adra, wo die vier Regimekritiker mit gewöhnlichen Kriminellen zusammengesperrt sind. Laut ihrer Anwälte muss sich Kilo seine Zelle mit Mördern und Vergewaltigern teilen, Bunni wurde kürzlich von seinen Mithäftlingen angegriffen und verprügelt.