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Archiv-Artikel

Ohne innere Einstellung

SCHREIBKULTUR Mit der Schnittmenge zwischen den Informationssystemen von Robotern und Computern und den Heiligen Schriften beschäftigt sich die Installation „bios (thora)“ im Jüdischen Museum

Die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine interessiert die Künstlergruppe

VON CHRISTINA STEENKEN

Seit 3.300 Jahren wird die Thora, das heiligste Buch im Judentum, mit Federkiel und einer speziellen Tintenmischung geschrieben. Von rechts nach links – ein sakraler Akt, der hohe Konzentration benötigt, weil die Tradition zur Perfektion verpflichtet. Doch anders als sonst, wenn der sogenannte Sofer, ein ausgebildeter Schreiber, das Schreiben der Thora übernimmt, ist es diesmal ein Roboter, der die Feder ansetzt und im Jüdischen Museum Berlin die insgesamt 304.805 Buchstaben der Thora niederschreibt.

Ja, ein Roboter! Der wird sonst zum Schweißen benutzt, doch derzeit ist er zu einem Kalligrafieroboter umprogrammiert worden und der Mittelpunkt des Kunstprojektes „bios [thora]“ der dreiköpfigen Künstlergruppe „robotlab“ aus Karlsruhe. Ihr Projekt dockt an die Ausstellung „Die Erschaffung der Welt – Illustrierte Handschriften aus der Braginsky Collection“ an. Seit vergangenem Donnerstag arbeitet der Roboter nun schon an der Thora, die den ersten Teil der hebräischen Bibel darstellt. Insgesamt wird er dafür eine 80 Meter lange Papierrolle vollschreiben und dafür gut drei Monate Zeit benötigen. Zwei Thorarollen entstehen also in dem halben Jahr bis zum Ende der Ausstellung im Januar 2015, wovon eine Rolle dann auch in die Sammlung des Jüdischen Museum aufgenommen wird.

Der Roboter bildet einen Kontrapunkt zu einem „echten“ Sofer, der seine Kunst in der Ausstellung ebenfalls vorstellt. Jeden Tag (außer freitags und am Schabbat natürlich) sitzt Thoraschreiber Rabbi Reuven Yaacobov zwei Stunden in der Ausstellung und schreibt. Obwohl der Roboter im menschlichen Schreibtempo arbeitet, ist er schneller als der Sofer und effizienter, denn er schreibt fehlerfrei. Müde wird er auch nicht, Pausen zum Essen und Trinken sind überflüssig. So arbeitet er zehn Stunden am Tag, während der Sofer nur zwei schafft. Bis zur Vollendung einer Thorarolle dauert es für ihn so rund 9 Monate bis zu einem Jahr.

Anders als vielleicht zunächst vermutet, will die Künstlergruppe mit ihrer Installation nicht die Angst thematisieren, dass Roboter die menschliche Arbeit immer weiter ersetzen, sondern eher auf die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine eingehen. Der Titel des Kunstwerkes weist nämlich auf eine elementare Komponente der Computertechnik hin, auf dem alle Programme eines Computers aufbauen: dem Basic Input Output System (bios), „die heilige Schrift des Computers, ohne die Maschinenkultur nicht funktionieren würde“, wie Jan Zappe von „robotlab“ erklärt. Das „bios“ hat also für den Computer eine ähnlich fundamentale Bedeutung wie die Heilige Schrift für die Kulturgeschichte des Menschen.

Die Schnittmenge zwischen der Maschinenkultur und der Kultur der Heiligen Schrift bildet somit den Grundgedanken der künstlerischen Arbeit. Das Schreiben der Thora ist mit vielen Regeln verbunden. So muss der Sofer beim Abschreiben der Thora eine exakte Kopie seiner Vorlage anfertigen, ohne Fehler, ohne Tintenkleckse. Außerdem darf er nur mit einer Gänse- oder Putenfeder schreiben: „Federn aus Metall sind verboten, denn aus Metall kann man Waffen machen und Menschen töten“, so Rabbiner Reuven Yaacobov. Weil all diese Regeln unbedingt befolgt werden müssen, könnte man sagen, dass der Produktionsweg ähnlich algorithmisch verläuft wie die Befehlssätze, die der Roboter empfängt, um die hebräischen Buchstaben zu schreiben, so Jan Zappe.

Koscher und heilig sind die vom Roboter geschriebenen Thorarollen übrigens nicht. Sie können nicht im Gottesdienst verwendet werden, weil sie einige notwendige Kriterien nicht erfüllen, wie das Schreiben auf aus koscheren Tieren hergestelltem Papier mit der speziellen Tinte – doch vor allem weil der Roboter eines nicht kann: Segenssprüche beten. Die innere Einstellung zum „Endprodukt“ fehlt dem Roboter völlig, und die ist maßgeblich beim Schreiben der Thora.

Einen Konkurrenzkampf zwischen Sofer und Maschine wird es also in Zukunft erst einmal nicht geben. Und das ist auch gut so. Es wäre schade um all die wunderschönen Illustrationen oder aufwändigen Scherenschnitte, die jede Thorarolle – wie sie in der Ausstellung gezeigt werden – verzieren und einzigartig machen. Etwas, das der Roboter mit seinem stereotypen Druck (noch) nicht leisten kann.

■ Die Installation „bios (torah)“ ist bis 11. Januar 2015 zu sehen