Mit Östrogen nach oben

FRAUEN Medien müssen heute Vorbild statt Abbild der Realität sein. Eine Frauenquote ist daher unumgänglich

Frauen müssen mit den Kollegen gleichauf ziehen und in der Berichterstattung gleichberechtigt mit Männern auftauchen

VON ANNE HAEMING

Nun macht mal“, mit diesem Satz endete die Titelgeschichte im Spiegel Ende Januar, in der die beiden Autorinnen eine Frauenquote einforderten. Sie meinten damit auch die Männer im eigenen Verlag. Und die machten: Eine Woche später antwortete der Leiter des Wirtschaftsressorts, indem er erklärte, der demografische Wandel regele das Problem von alleine, eine Frauenquote sei eine blöde Idee. Kurz: Wenn irgendwann nicht mehr genug Männer da seien für die Jobs, müsse man notgedrungen sowieso auf die Frauen zurückgreifen, ganz einfach.

Oder wie es Spiegel-Mann Matthias Matussek unlängst in einem Interview formulierte: „Wir sind eine Großredaktion mit 300 vorwiegend Testosteron-gesteuerten Bullen“, Journalismus, das sei nichts für „Zimperlieschen“. Aus dem „Arbeitskreis Gleichstellung“ des Verlags, gegründet 2002, in dem auch die Chefredaktion sitzt, hört man, dass die Karrieremotivation der Redakteurinnen schon lange vorhanden sei; Ziel sei gewesen, bis Ende 2010 den Frauenanteil der schreibenden Redaktion auf 30 Prozent zu erhöhen. Wer sich das Impressum ansieht, weiß, dass das nicht geklappt hat.

Die Telekom, die Axel Springer AG, gar die CSU, sie alle verschrieben sich im vergangenen Jahr eine Frauenquote und läuteten damit eine neue Runde in der Debatte über die Führungsansprüche der Frauen in der Gesellschaft ein. Was dabei oft außer Acht gelassen wird: Den Medien kommt eine besondere Rolle zu.

Sie müssten ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und eine Normalität zeigen, die es so noch nicht gibt, Vorbild sein, statt nur Abbild. Das findet auch Eva Kohlrusch, Vorsitzende des Journalistinnenbundes: „Wir sind überzeugt, dass die Vermittlung dieses Themas erst dann gelingt, wenn Journalistinnen und Journalisten in ihren eigenen Arbeitsbereichen mit der Geschlechtergerechtigkeit beginnen – gleiche Aufstiegschancen für beide, gleicher Rang in der Berichterstattung.“ Sie war 1984 die erste Frau in der Bild-Chefredaktion: „Ich musste jeden Tag von Neuem erklären, dass Frauen ganz normale Menschen sind.“

Die Haltungen in der Medienbranche klaffen auseinander: Der einstige Quoten-Gegner, Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart, bekannte schon im Juni: Eine Frauenquote sei ihm bislang unnötig erschienen „und irgendwie auch lästig“. Aber Frauen „sind nicht das Problem, sie sind die Lösung“. Bertelsmann-Chefin Liz Mohn erklärte gar: „Quoten auf Zeit können den Boden bereiten.“ Dann schob auch noch Axel-Springer-Vorstand Mathias Döpfner das verlagsinterne Projekt „Chancengleich“ an: In den kommenden fünf bis acht Jahren sollten aus bislang 16 Prozent Frauen in Führungspositionen 30 werden.

Doch die Begeisterung ist nicht ungeteilt: Ein Pressesprecher richtet aus, sein Chefredakteur wolle sich nicht „über den Sinn oder Unsinn von Quoten“ äußern; ein anderer entschied mit dem Intendanten, welche Führungsfrau sich zum Thema äußern darf – und formulierte die Antworten für sie vor. Sogar die zwei – von insgesamt neun – ARD-Intendantinnen sind uneins: RBB-Chefin Dagmar Reim ist für, die WDR-Intendantin und aktuelle ARD-Vorsitzende Monika Piel gegen eine Frauenquote in ihren Sendern. Ja, „aktive Frauenförderung“ sei „eine Kernaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, so Piel, doch man setze lieber auf Kompetenz und Qualität statt auf Quote, wenn es darum gehe, Stellen zu besetzen.

Ach, das Qualifikationsargument. Klingt ja eigentlich ganz gut. Zu Ende gedacht hieße das aber, es gibt keine qualifizierten, leistungsbereiten Frauen. Sonst müssten sie längst die Hälfte der Top-Positionen füllen. „Das legt nahe, dass Männer generell die Tüchtigeren sind“, sagt Eva Kohlrusch. „Und da können wir doch nur lachen.“ Vor allem: „Frauen sind heute so qualifiziert wie nie“, so die Ökonomin Elke Holst vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, „doch die Chancen von Frauen sind schlechter.“ Und auch die These, dass Frauen seltener Entscheiderpositionen übernehmen, enthüllte die Brigitte-Studie „Frauen auf dem Sprung“ als Mär. s

Man denkt unwillkürlich an die „Männerdämmerung“, die FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher schon 1993 am Horizont aufziehen sah, eingeschüchtert dank der medialen Führungspräsenz von Frauen wie Friede Springer oder Liz Mohn, von Sandra Maischberger, Anne Will oder Maybrit Illner. Übrigens: In ihren Sendungen seit Herbst durfte, wenn überhaupt, jeweils eine einzige Frau mitreden, ganz selten waren es auch mal zwei.

Zumindest bei Illner müsste es eigentlich anders aussehen: Beim ZDF lässt sich in einer Datenbank längst gezielt nach Expertinnen suchen. „Ausreden wie: ,Es gibt keine‘ oder ,Ich finde keine Frau für dieses oder jenes Thema‘ sind damit schwerer geworden“, sagt die ZDF-Gleichstellungsbeauftragte Marita Lewening. Überhaupt steht das ZDF gar nicht so schlecht da: Knapp 35 Prozent der Führungspositionen sind in der Hand von Frauen, Chefredakteur Peter Frey denkt da eher an eine Männerquote: „In der Leitungsebene der Chefredaktion sind alle Führungskräfte weiblich“, dafür hat Frey einen Sekretär, keine Sekretärin.

Um den üblichen Status quo zu veranschaulichen: Chefredakteurinnen gibt es in der Mehrheit bei Frauen- und Lifestyle-Magazinen; Spiegel, Stern, Focus, Handelsblatt, Manager Magazin, alles Männerspitzen. Ausnahme: brand-eins-Chefin Gabriele Fischer. Von den knapp 400 deutschen Tages- und Wochenzeitungen werden sechs von Frauen geleitet – die taz ist die einzige überregionale darunter.

Ja, eine Quote ist ein künstlicher Eingriff in die Realität. Sie soll Gerechtigkeit schaffen. Da Medien diese ungerechte Realität abbilden, bräuchten sie eine eigene Frauenquote, eine, die festlegt, wie viele Frauen im Blatt oder im Programm auftauchen, in Wort wie in Bild. Und in welcher Funktion. Derzeit gilt: Männer handeln, Frauen kommen vor. Männliche Akteure, weibliches Beiwerk – so steht es schon in der sogenannten Küchenhoff-Studie von 1975. Alle fünf Jahre wird dieses Ergebnis international bestätigt, zuletzt beim Global Media Monitoring Project 2010. In den deutschen Medien, so die Analyse, sind nur 21 Prozent der Personen, über die berichtet wird, Frauen. Initiativen wie „Who Makes the News“ oder das Unesco-Projekt „Women Make the News“ (www.whomakesthenews.org) weisen seit Jahren auf dieses Missverhältnis hin.

Die Präsenz von Frauen in den Medien müsste sich also gleich doppelt wandeln: Sie müssen als Medienschaffende mit den Kollegen gleichauf ziehen und außerdem in der Berichterstattung gleichberechtigt mit Männern auftauchen.

Die Zeit zeigt, wie das geht: 66 Prozent der Führungspositionen sind dort laut Verlag in Frauenhand. „Die Zeit spricht gleichermaßen Männer und Frauen an“, sagt Geschäftsführer Rainer Esser. Dass sich das auf Verlags- und Redaktionsebene spiegeln müsse, „gebietet der gesunde Menschenverstand“. Flexible Arbeitsmodelle sind in seinem Haus Normalität, Präsenz müsse nicht sein, so Esser: „Mit den modernen Möglichkeiten der Kommunikation können die meisten einen Teil ihrer Arbeit auch von zu Hause erledigen.“ Vielleicht überzeugt das Vorbild Zeit ja. Deren aktuelle „Rekord-Bilanz“ – die Auflage liegt aktuell bei über 500.000 Exemplaren – ist eine der höchsten in ihrer Geschichte.