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Archiv-Artikel

„Der Druck auf die Deutschen steigt“

Die Nato weiß, dass sie den Krieg in Afghanistan militärisch nicht gewinnen kann. Jetzt wollen die USA schärfer gegen die Opiumbauern vorgehen – und werden damit auch die Bundeswehr in die Bredouille bringen, so Citha Maass

taz: Frau Maass, heute beraten die Nato-Außenminister in Brüssel über Afghanistan. Laut den Statements der Generäle scheint die Lage so schlimm wie nie zu sein. Ist sie es momentan wirklich?

Citha Maass: Im Winter gibt es eigentlich immer einen Rückgang der Kämpfe. Wegen Kälte und Schneefall wird in vielen Gebieten nicht gekämpft. Das wird sich ab März aber wieder ändern.

Was wird die Nato dann tun?

Alles deutet darauf hin, dass die Taliban sich auf verstärkte Kämpfe vorbereiten. Es wird aber keine militärische Offensive geben – eher Einzelaktionen. Gleichzeitig wird die Kontrolle der Taliban über einzelne Distrikte zunehmen. Dagegen kann die Nato militärisch nichts tun. Und in der umkämpften Provinz Helmand kommen die britischen Soldaten kaum noch aus dem Stützpunkt raus, den sie erobert haben. Das Hinterland haben sie nicht unter Kontrolle.

Also hat die Strategie der Nato versagt?

Die Nato hat längst eingestanden, dass rein militärisch keine Stabilisierung erreichbar ist. Sie kann aber als militärische Organisation nicht gleichzeitig Wiederaufbau betreiben. Eine zivil-politische Komponente fehlt nach wie vor. Doch erstens ist die Nato nicht in der Lage, die entsprechenden Schaltstellen zu schaffen. Außerdem wäre es die falsche Botschaft an die Afghanen, wenn von der Nato jetzt etwas Ziviles kommt.

Von wem soll die zivile Komponente dann kommen?

Das ist schwierig. Im letzten Sommer wurde, nachdem es im Süden immer militanter wurde, eine Policy-Action-Group geschaffen, in der die Afghanistan-Mission der UN (Unama), die Nato und die Karsai-Regierung vertreten sind. Dieses Gremium hat jedoch bis jetzt überhaupt keine Ergebnisse geliefert. Nun wird gesucht, wer dieses Vakuum ausfüllen kann.

Beim letzten Nato-Gipfel hieß es, dass der Krieg ohne Bekämpfung der Opiumproduktion nicht zu gewinnen ist.

Die Anzeichen mehren sich, dass die Amerikaner im März eine große Schlafmohn-Vernichtungskampagne mit Herbiziden starten wollen. Das wird unter der verarmten Bevölkerung große Widerstände auslösen und sie erst recht in die Arme der Taliban treiben. Das gilt nicht nur für den Süden. Badachschan im Nordosten ist nach Helmand die Provinz mit der höchsten Opiumproduktion. Auch dort wird es Widerstand geben – was die im Norden stationierten Isaf-Soldaten gefährden würde.

Deutschland hat sich die Bekämpfung der Opiumproduktion für die Zeit der G-8-Führung auf die Fahnen geschrieben. Unternehmen die Deutschen konkrete Schritte dafür?

Das Isaf-Mandat sieht keine Mohnvernichtung vor. In der Praxis heißt das, dass die Deutschen Informationen über Drogentransporte ignorieren. Damit schützen sich die Soldaten natürlich auch selbst. Der Druck der US-Amerikaner steigt aber, dass auch die Deutschen ihre Haltung ändern. Nun streitet man, ob es richtig ist, bei den Opium-Produzenten anzusetzen. Sinnvoller wäre es, bei den Händlern anzusetzen, was auch die Strategie der Karsai-Regierung ist. Ihre Umsetzung scheitert jedoch daran, dass die Drogenbarone in Kabul im Parlament und in den Ministerien sitzen. Deutschland kann also versuchen, diesen wesentlich schwereren politischen Kampf zu führen, oder den USA folgen – und damit stärkere Sicherheitsrisiken in Kauf nehmen.

Sicherheitsrisiken für die Bundeswehr im ruhigen Norden werden auch durch einen eventuellen „Tornado“-Einsatz im Süden befürchtet.

Die „Tornados“ sind ein relativ geringes Problem für das Image der Deutschen in Afghanistan, auch wenn sie natürlich Zielinformationen für Luftangriffe liefern. Eine Einbeziehung in den Kampf gegen die Opiumproduktion hätte wesentlich ernstere Konsequenzen, da die Produzenten natürlich durch die Händler geschützt werden. Da sind Gouverneure und Polizeichefs involviert, und es liegt nahe, dass deren Hintermänner sich mit Anschlägen auf Nato-Soldaten rächen. Der Druck auf die Deutschen, die Obergrenze ihres Kontingents zu erhöhen und das Einsatzgebiet auszuweiten, wird von Monat zu Monat steigen. Ich nehme an, dass die Obergrenze von 3.000 bundesdeutschen Soldaten ausgeweitet wird.

Der Streit um die Rücknahme der nationalen Einsatzbeschränkungen der Nato-Staaten geht also weiter.

Darum wird sicher erbittert gerungen. Die Deutschen können mit mehr Soldaten vielleicht noch leben. Kritisch wird es, wenn deutsche Bodentruppen auch im Süden angefordert werden. Ich rechne mit massivem Druck auf die Bundesregierung ab Mai. Berlin will bislang die im Süden als falsch erkannte militärische Strategie nicht unterstützen. Deutschland ist in der Nato aber zu klein, um für einen Strategiewechsel zu sorgen.

INTERVIEW: ANETT KELLER