Rodel gut in China

Das Klima verändert schon jetzt die Wege der Touristenkarawane. Gewinner werden die Ostseestrände, aber auch Russland sein. Ein Ausblick

VON ANNETTE JENSEN

Früher schlappten hier vor allem Leute in schwarzen Gummianzügen in Richtung Meer: El Nido galt als Taucherparadies. 80 Prozent der Touristen reisten in den kleinen philippinische Ort, um zwischen den ausgedehnten Korallenriffen zu schnorcheln. Dann kam der Sommer 1998. Die Wassertemperatur stieg so stark an, dass die Korallen die mit ihnen in Symbiose lebenden Algen abstießen, dadurch verhungerten – und erbleichten. Fast die Hälfte der Riffe war innerhalb von kurzer Zeit zerstört. Tote Korallen aber wollen Urlauber nicht sehen. So blieben die romantischen Holzhütten von El Nido zwischen Urwald und Meer erst einmal leer.

Inzwischen ist in dem Dorf auf der Insel Palawan wieder einiges los – wenn auch längst nicht so viel wie früher. Vor allem händchenhaltende Liebespaare bevölkern den Strand oder erkunden das Hinterland per Paddelboot. Der philippinische Ort hat seine Marketingstrategie geändert und preist sich nun als ideales Flitterwochenziel an. Die Tourismusverantwortlichen der Malediven setzen dagegen auf „Augen zu und durch“. „Bisher gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass sich das Produkt Malediven in naher Zukunft ändert“, wiegelt Fathimath Afra vom Fremdenverkehrsamt ab. Dabei wird der Klimawandel für das aus über tausend Inseln bestehende Land noch existenzieller sein als für El Nido. Nicht nur die Korallenbleiche gefährdet den Staatshaushalt, der sich zu 90 Prozent aus dem Fremdenverkehr finanziert. Ein Anstieg des Meeresspiegels um einen halben Meter, wie ihn viele Wissenschaftler für die nächsten Jahrzehnte für wahrscheinlich halten, wird einen Großteil der Strände wegschwemmen. Die aber sind – zusammen mit dem türkisblauen Meer – unabdingbar für das Image der Trauminseln. Manche Prognosen gehen sogar von einem Wasseranstieg aus, der ganze Atolle verschlingen wird.

Die Malediven setzen dennoch auf Expansion: 35 Inseln werden gerade touristisch neu erschlossen. Und auch die großen Reisekonzerne blenden den Klimawandel fast völlig aus. Ihre Mitverantwortung insbesondere aufgrund des permanent wachsenden Flugverkehrs erklären sie zur Marginalie – ansonsten planen sie nicht viel weiter als bis zur nächsten Saison. Schließlich können sie Urlauberströme innerhalb eines Jahres umlenken, wenn es sein muss, sogar noch kurzfristiger.

Auch die meisten Alpengemeinden verdrängen die Zukunft. Viele einst arme Bergdörfer sind durch den Ski-Massentourismus reich geworden – daran wollen sie festhalten. Schließlich gibt der Wintergast nach einer österreichischen Berechnung durchschnittlich 100 Euro pro Tag aus, den Kauf von Skistiefeln, Schneebrillen und Sonnencremes nicht eingerechnet. „Semmeltouristen“, die im Sommer in den Bergen herumkraxeln, sind deutlich weniger lukrativ. Doch seit ein paar Jahren ist der Klimawandel in den Alpen nicht mehr zu übersehen. Schon 1994, 2000, 2002 und 2003 waren laut einer kurz vor Weihnachten veröffentlichten OECD-Studie die wärmsten der letzten 500 Jahre – und 2006 war da noch gar nicht ausgewertet. Bis vor kurzem galten 90 Prozent der Alpen als schneesicher, hatten also an 100 Tagen im Jahr mindestens 30 Zentimeter Schnee vorzuweisen. Das trifft künftig absehbar auf fast keine Gemeinde in Deutschland mehr zu. Auch in Österreich werden Orte unter 1.500 Metern ihr Hauptwerbemotiv verlieren, während die Schweiz in höheren Lagen einen wachsenden Ansturm von Schneehasen erwarten kann.

Doch statt sich Alternativen zu überlegen, setzen die meisten Gemeinden in niedrigeren Lagen darauf, das Problem zu übertünchen. Im bayerischen Hocheck haben Bürger und Bergbahnbetreiber vor ein paar Jahren mehrere Millionen Euro für eine Hightech-Beschneiungsanlage gesteckt. Mit zehn Kanonen kann das ganze Gebiet sogar bei 3 Grad plus wahlweise mit chemisch angereichertem Pulver- oder Feuchtschnee bedeckt werden. Doch in diesem Winter ist es selbst dafür viel zu warm. Zu erwähnen, das könnte mit dem Klimawandel zu tun haben, ist dennoch tabu. „So ein Schmarrn. Letztes Jahr war’s super hier. Wir werden den Klimawandel in unserem Leben nicht mehr mitkriegen“, erklärt ein Mann am extra eingerichteten Schnee-Infotelefon.

Nicht nur weil Kunstschnee viermal so schwer ist wie echter, das Schmelzwasser düngende Zusätze enthält und seine Herstellung extrem viel Strom und Wasser verbraucht, kritisiert die Internationale Alpenschutzkommission (Cipra) den Einsatz von Schneekanonen. „Das Problem ist auch, dass sie die bisherige Entwicklung zementieren. Um eine Region touristisch umzuorientieren, muss man in Zeiträumen von zehn bis zwanzig Jahren rechnen und entsprechend investieren“, erklärt Andreas Güthler von Cipra Deutschland.

Um die Wintergäste bei der Stange zu halten, werden außerdem immer höhere Regionen mit Liftanlagen erschlossen. Im vergangenen Sommer sahen sich Wanderer auf der 2.789 Meter hoch gelegenen Braunschweiger Hütte mit permanentem Baulärm konfrontiert; Hubschrauber brachten Zementsäcke, Raupenfahrzeuge donnerten über den Pitztaler Gletscher – während Ortskundige mit Besorgnis wahrnahmen, dass sie niemals zuvor so viel Wasser daraus hatten abfließen sehen. Daran konnten auch die reflektierenden Planen nichts ändern, mit denen immer mehr Alpengletscher in den Sommermonaten abgedeckt werden. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass Mitte des Jahrhunderts 80 Prozent der Gletscher verschwunden sein werden.

Während Skifahren in den Alpen vielerorts zum Auslaufmodell wird, gelten China und der Kaukasus als Wintersportziele der Zukunft. Auch künstliche Pisten in Kühlhallen sind im Kommen. Gerade hat eine mit Alpenpanorama dekorierte Skihalle südlich von Hamburg eröffnet, und nicht einmal die Bewohner des Wüstenstaats Dubai müssen im Alltag länger aufs Skifahren verzichten. Dass der immense Energieverbrauch das Klima draußen vor der Tür noch weiter anheizt, wird gern ignoriert.

Auch Europas Sommertourismus wird sich ohne Zweifel in den kommender Jahrzehnten verlagern. Gegenwärtig strömen jedes Jahr 116 Millionen Nordeuropäer in Richtung Mittelmeer – die größte Reisewelle weltweit. „Vor allem Portugal und Spanien werden versteppen. Gewinner werden vermutlich die gemäßigteren Breiten wie zum Beispiel Deutschland sein“, vermutet Theo Eberhard, Tourismusprofessor in München. Schließlich wird die Wohlfühltemperatur von 31 Grad im Sommer künftig eher am Ostseestrand zu finden sein als an der Costa del Sol. Für Baden-Württembergs Badeseen gibt es sogar schon konkrete Vorhersagen: Die Saison soll sich bis zum Jahr 2050 um 57 Tage verlängern.

Auch Russland könnte künftig mehr Urlauber anziehen. In den kanadischen Nationalparks rechnet man ebenfalls mit einem Besucheransturm. Wichtiger als die lauen Sommernächte für die Touristen erscheint den dortigen Rangern allerdings die Gefahr, die rasch steigende Temperaturen für die empfindlichen Ökosysteme bedeuten werden. Anders als Touristen können uralte Bäume nämlich nicht kurzfristig umbuchen.

ANNETTE JENSEN lebt in Berlin. Die taz-Autorin schreibt besonders gerne über Ökosysteme und Naturparks