: Ungehudelt und gradaus
Adieu, Bauchladentourismus! Werfenweng im Salzburger Land setzt auf sanfte Mobilität
von THOMAS PAMPUCH
Die „InnovationsWerkStadt“ in der Salzburger Neutorstraße ist so etwas wie ein alpenländischer Thinktank, auch wenn ihr Chef, Sebastian Mettler, lieber von „Know-how-Pool“ spricht. Hier, in der Mozartstadt, ist der schöne Begriff „Enthastung“ erdacht worden, der, so versichert Mettler, das Problem der Geschwindigkeit der heutigen Zeit ganzheitlicher angeht als die deutsche „Entschleunigung“. Enthastung – de-bustling für den Weltmarkt – ist demnach eine ausgereifte Philosophie, und Mettler hat mit seiner Werkstatt einiges dafür getan, sie zu propagieren.
„Nur ein Toter schwimmt mit dem Strom“ steht an seiner Bürowand. Vielleicht ist es kein Zufall, dass eines der attraktivsten Projekte, die Mettler mit Rat und Tat begleitet, stromaufwärts liegt, 40 Kilometer die Salzach hoch, und dann ein Stück in die Berge hinein. Dort liegt ein Dorf, das es mit seinen 800 Seelen und einem dynamischen Bürgermeister geschafft hat, so etwas wie eine alpenländische Pioniergemeinde zu werden, die gemütlich mit dem Zug zu erreichen ist. Das ist auch gut so, denn wenn „Enthastung“ die Philosophie ist, dann ist „Sanfte Mobilität“ (Samo) die Praxis dazu, und die heißt natürlich: Urlaub vom Auto.
Der Ort heißt Werfenweng. Er liegt im Salzburger Land, oberhalb von Bischofshofen, in einem Hochtal auf knapp 1.000 Meter Höhe im Schatten des Tennengebirges. Hübsche alte Bauernhäuser, eine Kirche an der Straße, ein kleiner Supermarkt, ein paar Hotels im Bauernhofstil. Dazu ein gepflasterter Dorfplatz mit bunten „Solartankstellen“. Drum herum ein paar Kneipen und Cafés sowie ein „Bauernladen“.
Als wir mit dem „Shuttle“ von Bischofshofen ankommen, hat es gerade zum ersten Mal in diesem Winter vernünftig geschneit. Im Januar! Ein schöner Winterabend: weiß, gedämpft, samtig. Erhaben ragen die Gipfel, still ruht das Tal. Die Glöckchen der heimkehrenden Pferdekutschen verklingen bimmelnd, die letzten Langläufer wippen über die Piste, in den Gastwirtschaften wird der erste Jagertee oder Almdudler ausgeschenkt – Winter in den Alpen!
Doch wer in den letzten Jahren die „schönen neuen Alpen“ besucht hat, weiß, dass das Normale dort keineswegs mehr das Übliche ist: Die Verschandelung und Zerstörung, die Verzirbelung, Verjodelung und Verplanung der Alpen schreitet seit Jahren voran. Dazu kommt, dass der Schnee ausbleibt. In Bayern, so neue Prophezeiungen, werden wohl nur zwei Skiorte langfristig überleben. In Österreich gibt es zwar ein paar höhere Berge mehr, doch dünner wird die Luft auch hier für den Skitourismus.
Pisten, Hotels, Schneekanonen, Après-Ski, Discos, Wellness – „Herrgottsakra, mit Bauchladentourismus, a bisserl was für jeden, war irgendwann in den Alpen keine Kuhglocke mehr zu gewinnen“, erinnert sich Peter Brandauer, mit dem wir im Wenger Alpenhof speisen. Seit 1989 ist er Bürgermeister von Werfenweng, 28 war er damals und hat das alles miterlebt. Brandauer ist heute immer noch Bürgermeister. Irgendwas muss er also richtig gemacht haben. Im Vorstand der „Alpine pearls“ ist er auch, jenem Netzwerk von inzwischen bereits 21 Gemeinden in allen Alpenländern, die sich um sanft mobilen Tourismus bemühen.
Vor zehn Jahren bewarb sich der Ort bei dem vom österreichischen „Lebensministerium“ ausgeheckten Pilotprojekt für sanfte Mobilität als Modellgemeinde. Später wurde er dann auch vom EU-Projekt „Alps-Mobility II“ gefördert. Aus dem gingen die „Alpine pearls“ hervor, und daraus wiederum entstand das EU-Projekt „Alpine awareness“.
Um Umwelt- und Klimaschutz einzuführen, braucht man mehr als moralische Argumente. Es muss sich auch rechnen. Aber nach ein paar Jahren konnte Brandauer seinen Einwohnern nachweisen, dass die Nächtigungszahlen im Ort mit dem neuen Tourismuskonzept stiegen: von 1997 bis 2004 um fast 30 Prozent. In den Samo-Betrieben – heute über zwei Drittel – sogar um fast 80 Prozent. Auch Preise hat der Ort eingeheimst wie kaum ein zweiter in den Alpen. Vom Klimabündnispreis über Solarpreise bis zum Hauptpreis der Alpenschutzkommission Cipra und dem „Energy Globe“.
Und das Tourismusprodukt selbst? Seit 1997 habe man – gemeinsam mit der Innovationswerkstatt – immer wieder neue Ansätze der Sanftheit ausprobiert, sagt Brandauer. Auch sanften Druck: etwa um die Touristen von den neuen Formen der Mobilität zu überzeugen. Belohnung statt Verbote ist die Kernidee des Konzepts. Schlüssel dabei ist die Samo-Vorteilskarte: Die erhält jeder, der mit der Bahn anreist oder den Autoschlüssel während des Urlaubs im Tourismusverband abgibt. Sie gibt eine „umfassende Mobilitätsgarantie“ von 9 Uhr früh bis spät nachts (an Wochenenden bis 4 Uhr in der Früh). Sie bedeutet Gratistransfers zum Bahnhof, aber auch innerhalb des Dorfs, und Nachttaxis – übrigens auch für die örtliche Jugend, die damit sicher und gratis am Wochenende aus den Discos heimfahren kann. Dazu kommen im Sommer jede Menge alternative Elektrospaßfahrzeuge, darunter – als Attraktion – das dreirädrige „Biga“, ein alpiner Ben-Hur-Streitwagen mit Harley-Lenker und Elektromotor.
Brandauer plant, aus Werfenweng ein Mekka der Elektrofahrzeugbastler zu machen. Natürlich gibt es aber auch Mountainbikes und Leihräder. Sowie Gratisausflüge, Malkurse, Kräuterwanderungen, ja sogar einen „Barfußpfad“. Im Winter bekommt jeder Samo-Gast Langlaufskier, Schlitten, Schlittschuhe und Schneeschuhe gratis und eine Fahrt mit der Pferdekutsche.
Zugegeben, wer das alles ausprobieren will, kann ganz schön ins Schwitzen kommen. Man kann sich aber auch aufs Bankerl setzen und einfach „gradaus schaun“. Tagelang. Vielleicht erreicht man dann die höchste Stufe der Enthastung, die – so www.werfenweng.org – kein Geringerer als Arthur Schopenhauer ausgelobt hat: „Der geistreiche Mensch wird vor allem nach Schmerzlosigkeit, Ungehudeltheit, Ruhe und Muße streben und demgemäß die Zurückgezogenheit und bei großen Geistern sogar die Einsamkeit wählen.“ Ein alpines Nirwana der Ungehudeltheit – wenn das keine echte Innovation ist!
THOMAS PAMPUCH, Autor aus München, schreibt am liebsten über die schönsten Ecken der Welt