: Fette Schwester Angela
HipHoper geht’s nicht: Bundeskanzlerin Merkel rappt sich neuerdings durch die Republik
In Angela Merkels neuestem Musikvideo „Erklärung zur Lage der Nation“ sieht man, wie die Kanzlerin an einer Reling lehnt. Und zwar nicht auf einer feldgrauen Bundeswehr-Fregatte, sondern einer schneeweißen Luxusyacht im Onassis-Format irgendwo mitten auf dem Meer – Wind in den aschblonden Haaren, eine Dolce-&-Gabbana-Sonnenbrille auf der Nase und eine Champagnerschale in der Hand. Die Sonne geht gerade unter, der Horizont glüht. Angela atmet tief durch und wippt mit ihren High Heels im Takt der Wellen. Dazu hören wir eine einfache Melodie, ab und zu singt ein unsichtbarer Hintergrundchor „Huhu“, und man ahnt schon, das reimt sich verdammt gut auf CDU.
Dann beginnt Angela Merkel zu singen. In ihrem unverwechselbaren, melodiösen Mecklenburger Sprechgesang erklärt sie uns die Lage der Nation. Und je länger der Song dauert, desto gebannter lauschen wir ihren Worten. Das ist nicht mehr die dröge Verlautbarungs-Merkel von einst, das ist eine neue Merkel, eine, die fetzt und groovt. Ja, in dieser Erklärung zur Lage der Nation ist Musike drin!
Und plötzlich gehen Discolichter an, HipHop-Jungs von der Jungen Union mit Oversize-Goldketten und Pelzmänteln springen hinter den Sonnenliegen hervor und liefern eine ziemlich fette Show. Alles ist ein bisschen zu prollig und zu prekär, etwas greller, als der gute Geschmack erlaubt – aber man will trotzdem „Jawoll!“ rufen und mittanzen, obwohl man genau wie Angela schon länger nicht mehr 17 ist. Kurzum: So macht Politik wieder richtig Spaß!
Angela Merkel ist schon lange nicht mehr die biedere Ossi-Frau mit Topffrisur und schlecht sitzendem Hosenanzug. Jetzt trägt sie Gold und Diamanten und eine riesige und teure Sonnenbrille. Auf ihrem neuen Album gibt sie die protzige HipHop-Schwester und passt perfekt zum Produzentenduo C-Tunes, das für ihre wundersame Wandlung verantwortlich zeichnet. C-Tunes, das sind Roland Koch und Horst Köhler, die in diesem musikalischen Nebenerwerb ihre rockigen Wurzeln ausloten. Besonders der Song „Spreewaldgurken“ ist ihnen extrem soulig geraten, massenkompatibel, ohne peinlich zu sein, und bringt dabei die CDU-Programmatik verdammt gut rüber. Das muss man erst mal sacken lassen.
Das ebenfalls von C-Tunes produzierte „Volle Fahrt voraus“ ist die erste Singleauskopplung und definitiv ein Hit. Auf ein verspieltes Jodeln der Kanzlerin folgen fette Beats und unterhaltsam verpackte politische Kernaussagen. Im Video wird im lässigen Kadettenoutfit getanzt, denn hier geht es darum, wie man dem Politikverdruss entgegengrooven kann und die Jugend anspricht. Und die gewinnt man nun mal mit Style und Poserei. Und – was soll man sagen? – das C-Tunes-Erfolgsrezept funktioniert auch hier.
Beim Anschauen des Musikvideos sieht man eine gestylte Angela, mal weinend, mal lachend, mal sehnsüchtig, mal mit entschlossener Machermiene. So facettenreich wie ihr hippes Repertoire an Gesichtsausdrücken ist auch ihre früher oft angezweifelte, mittlerweile aber unbestreitbare Polit-Credibility. Die neue, gefühlvolle Show-Angela ist eben ziemlich cool.
Doch ganz vorbei sind Merkels alte Zeiten noch nicht. Die einfühlsame Ballade „Frühstück mit Horst“ ist zwar ihr Lieblingssong, wie sie auf ihrer Homepage fetteschwester.de verlauten lässt. Das schleppend-zähe Tempo kann aber die freudlose Vergangenheit der Interpretin nicht ganz verbergen. Vielleicht ist aber gerade deshalb „Frühstück mit Horst“ auf seine Weise ein perfekter Merkel-Song geworden – so sexy und so streichzart wie eine Original Rügenwalder Teewurst. RÜDIGER KIND