„Halt’s Maul, du Opfer!“

Neue Beschäftigungsformen sichern die Zukunft der Computerspielindustrie

Auf den bezahlten Mitspielern kann nach Herzenslust herumgetrampelt werden

„Sie müssen sich jetzt aber auch mal abschlachten lassen, Herr Poloczek. Dafür werden sie ja bezahlt“, tadelt Dozentin Elvira Schultze-Hillen vom Referat „Subalterne Orks und haushaltsnahe Dienstleistungen“ einen sehnigen Endfünfziger mit eingefallenen Wangen. Herr Poloczek seufzt schicksalsergeben und lässt sich ohne Gegenwehr niedermachen – der Langzeitarbeitslose wird in einer Maßnahme der Arbeitsagentur Duisburg zum Kanonenfutter für Online-Spiele ausgebildet. Die Agentur reagiert damit auf zahlreiche Anfragen aus der Computerspielindustrie. „Wir brauchen schlichtweg mehr Manpower; der Kunde bevorzugt ganz eindeutig Lebendbeute. Natürlich kann man das billig die Chinesen machen lassen, aber der Kunde möchte sich ja manchmal ein bisserl unterhalten mit dem Opfer, bevor er schießt“, erklärt Maik Pesel vom Bundesverband der Schieß- und Hütchenspielhersteller (BVSUH).

Doch nicht nur als Opfer sind die Dienste der professionellen Gamer gefragt. Immer mehr betuchte Wochenendkrieger möchten sich nicht mehr mit stundenlangem Suchen nach Zaubertränken abgeben, lästige Kämpfe mit niederen Wesen ausfechten oder blödsinnige Handwerke wie das des Henkers, der die elektronische Guillotine bedient, ausüben. Deshalb lassen sie niedere Tätigkeiten von virtuellen Leibeigenen ausführen.

Von Menschen wie Rainer Poloczek. Seit einem Monat ist der gelernte Ofensetzer jetzt Lern-Sklave bei dem Adventuregame „War of Worldcraft“, dem größten Online-Spiel mit über acht Millionen freiwilligen Mitgliedern. Ein Zahnarzt aus Barmbek mit dem Spieleralias „painmaster“ hat Poloczek gebucht und benutzt ihn jetzt als Waffenträger, Boxsack und Futter für die Tiere. „Ich muss sagen, ich werde insgesamt gut behandelt“, meint Poloczek dazu und guckt wie ein Heimkind. „Ist ja alles nur ein Spiel. Außerdem kürzt mir das Amt sonst die Bezüge.“

Dann blickt er schweigend auf den Bildschirm, sein erschlagener Avatar (Spielername: „gemuese0815“) verschwindet und taucht im nächsten Moment als Minenarbeiter wieder auf. Vor Poloczek liegt noch eine Schicht im Online-Bergbau. Bis in die frühen Morgenstunden wird er für seinen Herrn „painmaster“ nach grünlich aufleuchtenden Pixeln suchen und sie per Mausklick abbauen, es sei denn die Höhlentrolle erwischen ihn. Dann bekommt er die Erfolgsprämie nicht ausgezahlt.

„Da ist dann schon mal die Arbeit von zwölf Stunden futsch, aber was soll man machen?“, erklärt achselzuckend Familienvater Poloczek, dessen halbwüchsiger Sohn Kevin (Spielername: „Superfukkk88“) ihm wertvolle Tipps („Halt’s Maul, du Opfer“) im Umgang mit dem neuen Medium gibt. Auch seine Frau Doris (Spielername: „SexyFeeDoris“) unterstützt die neue Karriere ihres Mannes: „Herumgesessen hat er immer schon gern.“

Poloczek ist kein Einzelfall. Die Computerspiel-Branche boomt, die Kunden werden anspruchsvoller und gerade die feudal organisierten Welten der beliebten Fantasy-Spiele verlangen nach Mitspielern, auf denen nach Herzenslust herumgetrampelt werden kann. „Wenn das weiter so geht, haben wir in drei Jahren wieder Vollbeschäftigung“, freut sich Elvira Schultze-Hillen.

Der neue Ausbildungsberuf im Bereich „Neue Medien/Kommunikation“ heißt „Personal Cyber Henchman“ (PCH) und gilt als schärfste Waffe der Bundesregierung im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, aber auch als Chance für Langzeitarbeitslose ohne Ausbildung, denn einem PCH werden keinerlei schulische Qualifikationen abverlangt. Neben einem Eignungstest, bei dem der Bewerber 48 Stunden regungslos vor einem Bildschirm verharren muss, gelten mangelnder Orientierungssinn und fehlendes Durchsetzungsvermögen als Schlüsselqualifikationen. Bewerber mit gültiger ADS-Bescheinigung werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt. Für viele Kandidaten ist ein Job als PCH die letzte Hoffnung auf ein reguläres Arbeitsverhältnis. „Ich bin immer nur herumgeschubst worden“, erzählt Herr Poloczek, „Aber jetzt kann ich endlich Geld damit verdienen.“

CHRISTIAN BARTEL