Gnadenloser Talk

Am Sonntagabend mutierte Sabine Christiansens blaue Kugel zu einem gefährlichen Boulevard-Geschoss

Eigentlich ist es jetzt auch langsam egal, wer die Nachfolge von Sabine Christiansen übernimmt, es geht vielmehr um das wann – endlich!

Am Sonntag hatte sie offensichtlich versucht, Bundespräsident Horst Köhler bei seiner Entscheidungsfindung über die Zukunft des RAF-Terroristen Christian Klar behilflich zu sein, indem sie ihm die Pistole auf die Brust setzte: Die im Sendetitel gestellte Frage „Gibt es Gnade für gnadenlose Mörder“ wurde durch die Vox Populi jedenfalls eindeutig beantwortet. Die während der Sendung laufende Zuschauerbefragung ergab eine klare Antwort: 91 Prozent sagten „Nein“.

Der Rechtsstaat wurde an diesem Abend k. o. geschlagen, symbolisiert durch dessen völlig in den Seilen hängenden Anwalt, den früheren Innenminister Gerhard Baum: Unterstützung erhielt er fast ausschließlich durch den Abtprimus Notker Wolf, der eigentlich für die theologischen Kategorien von Rache, Gnade und Schuld eingekauft worden war. Neben der keifenden Bettina Röhl klang Baums Stimme der Vernunft so beängstigend leise – in diese Stille hinein hätte man auch gleich noch nach der Todesstrafe fragen können. Die entsprechende Antwort wäre erfolgt.

Im gierigen Close-up (war da nicht eine Träne?) Michael Buback, Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts, das Al-Quaida-Opfer Michael Esper, ein Einspieler über den Krankenhausmörder von Sonthofen – Emotionen und emotional verstrickte Gäste zu einem Thema, das einer sachlichen Herangehensweise dringend bedürfte.

Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist – das ist aber noch lange kein Grund, auf Teufel komm raus die Quoten hochzujagen, um sich auch ja in diesem Gefühl wiegen zu können. Eine politische Talkshow in Zeiten einer großen Koalition hat es schwer, Spannung zu erzeugen. Dennoch: Lieber wieder mehr Westerwelle. MRE