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Archiv-Artikel

Ausstellungstipp

Ungarnaufstand

Wohl kein weltgeschichtlich bedeutendes Ereignis der frühen Nachkriegsjahre ist so eng mit dem Entstehen der nationalen Identität Österreichs verknüpft, wie der so genannte Ungarnaufstand von 1956. Zum 50. Jahrestag der Fluchtbewegung eröffnete das Wien Museum eine Ausstellung „Flucht nach Wien. Rund 180.000 Flüchtlinge kamen zwischen November 1956 und Januar 1957 über die Grenze im Burgenland und wurden mit nahezu ungeteilter Solidarität aufgenommen.

Rund 15.000 blieben schließlich da. Fast alle haben sich assimiliert, insgesamt aber vor allem in Wien Kultur und Gesellschaft bereichert. „Aber sie haben dabei eben auch jenen Vorschuss an Respekt erhalten, der ihnen wohl gebührt hat“, heißt es im Vorwort des Katalogs, nicht ohne kritischen Hinweis auf den heute anderen Umgang mit Flüchtlingen.

Damals wurden die Menschen, die mit Pappkoffern und in schäbigem Gewand durch die Straßen irrten, spontan eingeladen. Die Regierung erkannte ihnen kollektiv den Flüchtlingsstatus zu, ohne die Motive jedes Einzelnen zu prüfen. Aber schon nach wenigen Monaten begann die Solidarität zu schwinden. Mancher Wiener beklagte sich beim Bürgermeister, dass die Ungarn gratis in der Straßenbahn fahren durften. Und Verteidigungsminister Ferdinand Graf warnte schon am 13. November 1956 im Ministerrat davor, „die Wohnungen zu wohnlich einzurichten, denn sonst kriegen wir die Leute und besonders ‚manche‘ nicht mehr weg.“ Über 38.000 Flüchtlinge emigrierten schließlich in die USA, 25.000 nach Kanada, 14.000 nach Deutschland, 12.000 in die Schweiz.

Ganz wenige ließen sich auch von den Repatriierungskommissionen wieder nach Ungarn zurücklocken. Der plötzliche Schwund an Intellektuellen und Fachleuten schmerzte das Regime, das Reuigen großzügige Konditionen anbot. Allerdings machte die auf den Aufstand folgende Säuberungswelle mit Schauprozessen, Hinrichtungen für die Aufrührer die Rückkehr wenig reizvoll. Erst in den 60er-Jahren setzte unter Parteichef János Kádár die entspanntere Zeit des „Gulaschkommunismus“ ein, die relativ große politische Freiräume mit für Osteuropa respektablem Konsumniveau verband. Und es ist kein Zufall, dass die Demontage des Eisernen Vorhangs Monate vor dem Fall der Berliner Mauer zwischen Österreich und Ungarn begonnen hatte. RALF LEONHARD

„Flucht nach Wien. Menekülés Bécsbe“. Wien Museum, Karlsplatz, verlängert bis 7. Januar 2007, Dienstag bis Sonntag, 9 bis 18 Uhr. www.wienmuseum.at/59.asp