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Archiv-Artikel

Die Welt wird wärmer als erwartet

Mit einer dramatischen Entwicklung des Weltklimas rechnen die Forscher der Vereinten Nationen. Bundesregierung beharrt auf hohen Kohlendioxid-Emissionen der Industrie. Europäische Union verlangt, die Abgase ab 2008 stärker zu reduzieren

In Mecklenburg-Vorpommern wird es bis zu 40 Prozent weniger Regen geben

VON STEPHAN KOSCH UND HANNES KOCH

Zwei Banner flatterten gestern am Pariser Eiffelturm. „Unter zwei Grad – Es ist noch nicht zu spät“ lautete die Botschaft der Greenpeace-Kletterer, die das Wahrzeichen der Seine-Metropole mit ihrer Botschaft schmückten. Doch an dem kämpferischen Optimismus der Umweltschützer darf gezweifelt werden. Denn die Klimaexperten der Vereinten Nationen, die gestern in Paris mit der Beratung ihres aktuellen Berichts zum Klimawandel begannen, sehen eine Erderwärmung von 2 Grad Celsius offenbar als unvermeidlich an. Zumindest meldete das die britische Zeitung Independent aus einem Entwurf des Berichts.

Es sei „fast unvermeidlich“, dass die Durchschnittstemperatur auf der Erde bis Ende des Jahrhunderts um 2 bis 4,5 Grad steigen werde, schreibt die Zeitung. Auch eine Erhöhung „um 6 Grad oder mehr“ könne nicht ausgeschlossen werden. Noch ist nicht klar, ob diese Zahlen bis Freitag Bestand haben. Denn in den kommenden Tagen wird das UN-Gremium mit dem Namen Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC den Entwurf diskutieren.

Doch die Tendenz ist klar: Das IPCC schätzt die Lage dramatischer ein als in seinem letzten Bericht 2001. Damals waren die Experten von einer Bandbreite zwischen 1,4 und 5,8 Grad ausgegangen. Die Folgen der Entwicklung: Tropenstürme und Orkane werden an Stärke zunehmen, die Arktis wird im Sommer eisfrei sein. Der Meeresspiegel steigt bis 2100 um rund 43 Zentimeter. Die indonesische Regierung meldete gestern, dass in diesem Falle 2.000 der 17.000 zu dem Staat zählenden Inseln im Meer zu versinken drohen.

Doch auch in Deutschland wird der Klimawandel spürbare Auswirkungen haben. Das Umweltbundesamt veröffentlichte gestern ein Szenario für das Jahr 2100. Danach wird es in Deutschland um 1,8 bis 2,3 Grad Celsius wärmer werden, der Rhein wird in doppelt so vielen Wochen Niedrigwasser führen als bisher, im Oberrheingebiet sind längere Hitzewellen mit entsprechenden Herz-Kreislauf-Belastungen zu erwarten. In Mecklenburg-Vorpommern wird es bis zu 40 Prozent weniger regnen, was Folgen für die Landwirtschaft hat.

Vor dem Hintergrund dieser Szenarien stritten gestern Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) darüber, wie viel klimaschädliches Kohlendioxid die deutsche Industrie ab 2008 kostenlos in die Luft blasen darf. Während es zurzeit 485 Millionen Tonnen pro Jahr sind, hatte Gabriel im Auftrag der Bundesregierung vorgeschlagen, ab 2008 noch 467 Millionen Tonnen zu genehmigen. Das aber ist der Europäischen Kommission zu viel: Brüssel verlangt, dass Deutschland seine Industrie-Emissionen auf 453 Millionen Tonnen pro Jahr begrenzt.

Nach Informationen der taz konnten sich Gabriel und Glos nicht einigen, auf die EU-Forderung einzugehen. Gabriel wäre dazu tendenziell bereit, Glos hingegen droht Brüssel mit einer Klage. Nach dem Treffen im Bundeskanzleramt hieß es lediglich, man habe die „Gespräche mit der EU-Kommission ausgewertet und weitere Gespräche vorbereitet“.

„Jetzt muss die Kanzlerin entscheiden“, sagte dazu der ehemalige Umweltstaatssekretär Rainer Baake, der nun für die Deutsche Umwelthilfe arbeitet. Sonst sei „der außenpolitische Schaden immens“, so Baake mit dem Hinweis auf die deutsche Präsidentschaft der EU im ersten Halbjahr 2007. Die Bundesregierung habe „keinen Spielraum für ein Geschäft“, weil sonst jedes Mitgliedsland der Europäischen Union einen „Rabatt“ verlangen könne.