Streit um Verantwortung für Kurnaz

Murat Kurnaz saß vier Jahre in Guantánamo. Wer hätte dem jungen Bremer helfen müssen? „Die deutsche Regierung ist zuständig“, findet das Zentrum für Türkeistudien. „Die Türkei ist sein Heimatstaat“, sagt ein Experte für türkisches Recht

AUS BERLIN CIGDEM AKYOL

Die türkische Botschaft in Berlin weist jede Kritik zurück: Die türkische Regierung habe sich „auf technischer und politischer Ebene intensiv“ um die sechs türkischen Bürger gekümmert, die in Guantánamo inhaftiert waren, und sich im Fall Murat Kurnaz um eine „harmonische Zusammenarbeit“ mit der deutschen Regierung „bemüht“. Das Ergebnis: Fünf Türken durften das US-Lager verlassen, Kurnaz aber musste vier Jahre, bis zum August 2006, dort bleiben.

Wieso er nicht freigelassen wurde, dazu äußert sich die türkische Regierung nicht und verweist an die deutsche Regierung. Ein beliebtes Argument: Kurnaz sei in Deutschland verwurzelt.

In den türkischen Medien wird sein Schicksal kaum thematisiert. Der 24-Jährige ist in Bremen geboren und aufgewachsen, also in Deutschland zu Hause. Er hat aber keinen deutschen Pass, sondern ist türkischer Staatsbürger. Für die Deutschen ein Grund, ihn an die Türken loszuwerden. Für die Türken Anlass, ihn Deutschland zuzuschieben.

„Hintergrund für die Zurückhaltung ist vermutlich das Dilemma der türkischen Regierung, die von der internationalen Öffentlichkeit besonders scharf beobachtet wird,“ erklärt Christian Rumpf, Leiter der Forschungsstelle für türkisches Recht in Bamberg. Die Türkei wolle schließlich nicht den Eindruck erwecken, sie würde islamische Fundamentalisten schützen. „Aber die Türkei ist der Heimatstaat von Kurnaz. Daher hat er einen Anspruch auf den diplomatischen Schutz seines Landes“, erklärt er. Ein Anspruch, welcher von der türkischen Gemeinde in Deutschland bisher nicht thematisiert wurde.

„Die rechtsstaatliche Sensibilität ist hier noch nicht ausgereift“, erklärt Bülent Arslan das geringe Interesse der Türken an dem Fall. Der Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums der CDU kritisiert die Zurückhaltung und fordert die Übernahme der Verantwortung für Kurnaz.

Dieser war 2001 nach Pakistan geflogen, um den „Islam zu studieren“. Dort wurde er unter Terrorverdacht gefangen genommen und verschwand im US-Folterlager in Guantánamo. Erst im August 2006 durfte er zurück nach Deutschland.

Seitdem werden täglich neue Meldungen veröffentlicht, die Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) belasten. Ihm wird vorgeworfen, als Kanzleramtschef in der rot-grünen Regierungszeit die Freilassung des Bremer Türken und seine Rückkehr nach Deutschland hintertrieben zu haben. Steinmeier aber verteidigte sein Verhalten am Wochenende so: „Ich würde mich heute nicht anders entscheiden.“

Als eine „Schande für die Politik“ bezeichnet Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien die Affäre. „Für den Fall Kurnaz ist die deutsche Regierung zuständig. Schließlich wurde er in Deutschland geboren und hat kaum Kontakte in seine Heimat“, erklärt Sen. Eine Meinung, die Seref Erkayhan von der Türkischen Gemeinde Deutschland teilt: „Er ist schließlich ein Deutsch-Türke.“ Offenbar war genau das sein Problem.