piwik no script img

Archiv-Artikel

Indianertanz ums Mikrofon

Traurige Musik, die glücklich macht: Zweieinhalb Stunden spielten Cat Power und die Memphis Rhythm Band in der Volksbühne und keine Minute möchte man missen

„Das ist ein Song, den ich in den letzten Wochen oft verkackt habe … wenn ich’s nicht bringe, liegt es daran, dass ich es nicht fühle.“ Mangelnde Authentizität ist nichts, was man Cat Power ankreiden könnte. Nach über zehn Jahren im Business hat die 34-jährige Singer-Songwriterin, die mit richtigem Namen Chan Marshall heißt, kein bisschen von ihrer Echtheit eingebüßt. Echtheit, das klingt in unserer postironischen Zeit nach nichts, womit man zu tun haben möchte. Patschuliräucherstäbchen etwa.

Dabei heißt es bloß, dass die Frau ihre Sache ernst nimmt. Jeder, der sie singen sieht, nimmt ihr ab, dass sie ihre Songs immer aufs Neue durchlebt: „Last time I saw you, you were on stage / Your hair was wild, your eyes were red / … / But you didn’t want to play / And I don’t blame you.“ Wenn sie „es“ nicht fühlt, kann’s schon mal verkommen, dass sie eine Show nach ein paar Nummern abbricht. So wird ein Cat-Power-Konzert zum kostbaren und vor allem: geteilten Moment.

Marshall hat ihr elfköpfiges Soul-Orchester, die Memphis Rhythm Band, mitgebracht – mitsamt schlohweißem Sitzgitarristen, drei Streichern, Saxofon und zwei gewaltigen Backgroundsängerinnen. Ein paar von ihnen haben früher schon für Al Green oder Booker T. and the MGs gespielt, jüngst haben sie Marshall auf ihrem Album „The Greatest“ unterstützt, das sie bei einem Ausflug von New York zu ihren Südstaatenwurzeln aufgenommen hat. Da mischt sie ihren suizidalen Folk erstmals mit weichen Geigen und saftigen Blues-Licks.

Die Band groovt pompös. Jeder darf sein Instrument mit einem Minisolo aufwärmen. Das dauert eine Weile. Das Publikum nutzt sie, um sich zu fragen: Kommt sie? Wann? Wie lange wird sie heute spielen? Und dann, ohne Tusch und Trara, erscheint Cat Power auf der Bühne. Das Gesicht hinterm Pony versteckt, eine Teetasse in einer Hand. Wie John Cleese vom Ministry of Funny Walks stakst sie zu ihrem Mikro.

Plötzlich ist nur noch diese Stimme im dunklen Saal der Volksbühne: irgendwo zwischen Hope Sandoval von Mazzy Star und der gealterten Marianne Faithfull. Dunkel, rauchig und hallend, immer in den Tiefen der Vokale verharrend, wie ein Seufzen: „Where is … my … love?“ Mitten im Song vollführt sie einen kleinen Indianertanz ums Mikro und zündet sich dabei eine Zigarette an. Hustet.

Die schmalen Schultern hochgezogen, bewegt sich Marshall wie der junge Michael Jackson, wie eine Gebärdensprachen-Übersetzerin. Es ist, als übersetze sie jeden musikalischen Impuls in eine Bewegung: Fingerschweben und -picken, Beinschlenkern und -stampfen – zu unmittelbar allerdings, um es choreografiert zu nennen.

Cat Power ist traurige Musik, die glücklich macht. Die deswegen berauscht, weil sie erzählt, dass es kein Glück gibt und man deswegen eben auch nicht traurig sein muss, wenn man es nicht hat. So ist die Singer-Songwriterin einem Bonnie „Prince“ Billy nicht unähnlich, der jüngst in einem Interview sagte, er habe sich erst mit seiner Musik eine Welt geschaffen, in der ihm ein Leben möglich sei.

Nach einer Stunde mit Band ist Chan Marshall solo. Am Klavier, den Kopf zwischen den Schultern eingezogen wie ein kleiner Vogel, spielt sie David Bowies „Wild is the Wind“. Vor sechs Jahren zeigte sie mit „The Covers Record“, dass sie Stücke anderer Künstler derart zu zerlegen und in Cat-Power-Manier neu zusammenzubasteln vermag, dass wenig an das noch so oft gehörte Original erinnert. So macht sie es auch an diesem Abend mit einem unglaublichen „House of the Rising Sun“ an der Gitarre und einem hingerockten „Satisfaction“. Dann gleitet sie achselzuckend in Gnarls Barkleys Diskonummer „Crazy“. Das Original kann man danach getrost vergessen.

Immer wieder schafft sie es, kleine, intime Momente herzustellen – wenn sie auf der Bühne in die Hocke geht, an ihrem Tee nippt und ihrer Band zuhört. Oder wenn sie beim Klavierspiel irritiert innehält und vor dem schwarzen glänzenden Lack an ihrem Pony herumnestelt: „Ich kann mein Spiegelbild sehen. Ist ja ätzend.“

Nach zweieinhalb Stunden, ebenso berauscht wie das Publikum, mag sie kaum von der Bühne gehen. Steht noch eine ganze Weile linkisch herum, winkt in den Zuschauerraum und man sieht ihr an, dass sie es heute Abend nicht verkackt hat.

KIRSTEN REINHARDT