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Archiv-Artikel

Greis im Spiel

Was erwartet die deutschen Zuschauer, wenn Silvio Berlusconi tatsächlich ProSiebenSat.1 kauft? Moderierende Rentner und Frauen als Dekolleté-Element prägen seine italienischen Programme

VON MICHAEL BRAUN

„La TV più bella del mondo“, „das schönste Fernsehen der Welt“ genießen die Italiener tagtäglich, wenn man Silvio Berlusconi glauben darf. Oder ist es das hässlichste Programm, das man sich denken kann, wie seine Kritiker meinen? Was auf die Deutschen zukommt, wenn der sendende Politiker aus Mailand demnächst tatsächlich ProSiebenSat.1 kaufen sollte, spaltet seit gut 25 Jahren die italienische Nation.

Keine Pädagogik – so ließ sich Berlusconis Kampfansage an die staatliche RAI zusammenfassen, als er zunächst mit seinem Sender Canale5 auf Programm ging. Gesendet wird, um Werbezeiten zu verkaufen; gesendet wird deshalb, was dem Publikum gefällt; und das lässt sich ganz einfach messen: an der Einschaltquote. Qualität, Kultur, Bildungsauftrag – Fehlanzeige. Lieber investierte er sein Geld in zugkräftige US-Serien: „Dallas“ und „Denver Clan“ ließ er sich Millionen kosten, und zusammen mit dem bösen J. R. Ewing wurde Silvio auf einen Schlag im ganzen Land bekannt.

Den zweiten schweren Schlag versetzte er der RAI durch das genauso teure Abwerben der beliebtesten Show-Stars. Als der damals schon alternde – aber heute immer noch laufend im Berlusconi-Programm präsente – Mike Buongiorno bei Canale5 anheuerte, hatte der neue Sender den Durchbruch geschafft.

Seither gilt im Berlusconi-Showbiz auf mittlerweile drei Sendern die immer gleiche Formel: Ein oft schon ältlicher, fast immer ziemlich hässlicher Mann präsentiert irgendwas – Quiz, Gesang oder Publikumszänkereien – und ziemlich gut aussehende, ziemlich leicht bekleidete Mädchen dürfen dabeistehen, albern kichern und – wenn’s hochkommt – auch mal einen Satz sagen. Ein paar von diesen Mädchen schaffen es womöglich selbst zum Showstar – unter der Voraussetzung, dass man sie mit hochgeschlitztem Kleid und tiefem Ausschnitt aufs Publikum loslassen kann.

Italiens Fernsehen habe er so drastisch „verjüngt“, rühmt sich Berlusconi, der ansonsten nicht durch das Erfinden besonders innovativer Formate geglänzt hat. Eines wenigsten stimmt an dem Selbstlob: In Italien hat Berlusconi die mittlerweile allgemeinverbindlichen Maßstäbe gesetzt und sich mit gut 40 Prozent der Einschaltquoten äußerst knapp hinter der RAI platziert.

Auch die RAI kennt bei der Einschätzung ihrer Programme bloß noch das Kriterium Einschaltquote, und auch die RAI glaubt, der sicherste Weg zur Quote seien seichte Programme mit Mädchen in hochgeschlitzten Kleidern – selbst in den öffentlich-rechtlichen Politsendungen fehlt heute kaum einmal der Busenblickfang vom Dienst. Ansonsten läuft bei der RAI und bei Berlusconis Mediaset-Konzern unterschiedslos der gleiche Reality-Kram – Canale5 hat „Big Brother“, die RAI erfreut das Publikum dafür mit „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“

Trotzdem unterscheiden RAI- und Mediaset-Zuschauer sich in wenigstens einem Punkt fundamental: in ihren politischen Sympathien. Eine gerade veröffentlichte Erhebung des Cattaneo-Instituts zu den Parlamentswahlen im letzten April ergab: Wer RAI-Nachrichten schaut, wählte ziemlich sicher Prodi – von den RAI3-Zuschauern gar 87 Prozent. Die Fans der Nachrichten von Canale5 dagegen stimmten mit 75 Prozent für ihren Fernseh- wie Politguru Berlusconi.

Freuen dürfte den dieser Erfolg eigentlich nicht. Beharrlich nämlich erklärt er allen Zweiflern, politisch habe er seine Sender nie genutzt. Und parteiisch sei unter all den Nachrichtenprogrammen seiner Senderfamilie bloß das Telegiornale von Rete4, gemacht von dem peinlich-servilen Emilio Fede („Ich liebe meine Frau und Silvio Berlusconi“). Canale5 dagegen, so Berlusconi, verhalte sich radikal neutral.

Wie neutral die Sender sind, kann man gerade in diesen Wochen besichtigen. Wie alle Jahre wieder, wenn der Staatshaushalt zur Verabschiedung ansteht, protestieren Interessengruppen aus allen Ecken, mal Taxifahrer, mal die Gewerkschaften, dann die Arbeitgeber. Dieses Jahr – ihr Chef ist ja gerade Oppositionsführer geworden – haben die Berlusconi-Nachrichten viel mehr Zeit für diese Proteste als noch vor zwölf Monaten; unter dem damaligen Ministerpräsidenten Berlusconi waren verärgerte Bürger eben „keine Nachricht“.

Berlusconi selbst ist heute noch der festen Meinung, „fast alle“ der für ihn tätigen Journalisten seien sowieso „stramme Linke“. Sehr nette Linke allerdings, vor allem wenn es um ihren Chef geht, zum Beispiel um dessen Dauerärger mit der italienischen Justiz: Keiner der Mediaset-Zuschauer hat je erfahren, dass an den Vorwürfen gegen Berlusconi, korrupt zu sein und Bilanzen zu fälschen, auch was dran sein könnte.