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Archiv-Artikel

Ver.di schreibt nur noch Liebesbriefe

Für die Gewerkschaft Ver.di war der private Postzusteller Pin AG die Verkörperung des Bösen. Nun haben sich beide Seiten lieb. Pin kündigt überraschend an, einen Tarifvertrag zu unterzeichnen. Ohne den würde sie die Aufträge des Landes Berlin verlieren

„Heute ist ein guter Tag. Es gibt kein Gegeneinander mehr“

Von Nadine Kleber

Jahrelang war die Pin AG der Erzfeind von Ver.di. Immer wieder kritisierte die Dienstleistungsgewerkschaft den privaten Briefzusteller – wegen unbezahlter Überstunden, wegen Lohnabzug im Krankheitsfall, wegen des Verdachts auf eine manipulierte Betriebsratswahl. Sieben Jahre lang kämpfte Ver.di erbittert, aber vergeblich. Doch damit scheint es nun vorbei zu sein.

Bei einer Pressekonferenz Anfang dieser Woche saßen Vertreter der beiden einstigen Kontrahenten einträchtig beisammen. „Es gibt kein Gegeneinander mehr“, sagte Rolf Büttner vom Ver.di-Bundesvorstand und fügte hinzu: „Heute ist ein guter Tag.“ Und Günter Thiel, Vorstandsmitglied der Pin Group AG, pflichtete bei: „Wir sind freiwillig und aus Überzeugung hier.“ Was war geschehen?

Die 1999 in Berlin gegründete Pin AG, seit 2006 ein Tochterunternehmen der Pin Group AG, ist einer der größten privaten Briefzusteller Deutschlands. Allein in Berlin liefert er täglich etwa eine Million Sendungen aus, auch der Senat lässt seine Post von Pin verteilen. Deutschlandweit beschäftigt die AG rund 1.350 Mitarbeiter, davon etwa 860 in Berlin. Viele davon sind täglich mit ihren blauen Fahrrädern auf den Straßen unterwegs. Und viele von ihnen klagten – und klagen – über die schlechte Behandlung durch den Arbeitgeber.

Schikanen, Kontrollmaßnahmen und Unregelmäßigkeiten würden den Arbeitsalltag prägen, sagen Mitarbeiter. „Der Druck ist extrem hoch. Krankheit wird nicht toleriert“, erzählt ein seit zwei Jahren im Verteilzentrum Neukölln beschäftigter Zusteller. Von nicht arbeitsfähigen Mitarbeitern werde erwartet, Überstunden abzubauen oder Urlaub einzureichen. Auch sonst sei die Belastung groß. „Bei einer täglichen Arbeitszeit von sieben Stunden sind die Touren so angelegt, dass man acht Stunden dafür bräuchte. Zusätzlich muss ich noch Teile einer anderen Tour mitmachen“, erzählt der Zusteller. „Wer das nicht schafft, muss sich vorhalten lassen, nicht schnell genug zu arbeiten.“

Um die Effizienz der Mitarbeiter zu überprüfen, sei im Verteilzentrum Neukölln sogar eine elektronische „Fußfessel“ für die Zusteller getestet worden. So könnte deren Aufenthaltsort per GPS überprüfbar gemacht werden. „Ein Kollege hat dieses Gerät einen Tag lang getragen“, berichtet eine ehemalige Zustellerin des Unternehmens, „es hat aber nicht funktioniert, sodass es dann doch nicht eingeführt wurde. Mit uns darüber gesprochen hat niemand.“ Die Pin Group AG bestätigt dieses Vorgehen, stellt aber die Pläne als ein Hilfsmittel zur Optimierung der Touren dar.

Laut Bernhard Steinkühler ist dieses Vorgehen unzulässig: „Ein Anbringen eines elektronischen Überwachungssystems wäre ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht“, sagt der Fachanwalt für Arbeitsrecht. Auch andere Vorgehensweisen des Unternehmens wie Lohnabzug im Krankheitsfall sowie bei einer verschmutzten Transporttasche, das Ausstellen von befristeten Arbeitsverträgen, die auch bei wiederholt Beschäftigten immer wieder eine halbjährige Probezeit enthalten, sieht Steinkühler als rechtlich unzulässig an.

All dies hatte auch Ver.di immer wieder kritisiert. Noch im vergangenen Jahr war die Gewerkschaft mehrfach mit scharfer Kritik an die Öffentlichkeit gegangen. Reagiert hat auch das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LAGetSi), dem die Pin AG aufgefallen war. Wegen der Überschreitung von Arbeitszeiten sprach das Amt Anfang des Jahres 2005 mehrfach bei dem Briefverteiler vor. Laut Auskunft des LAGetSi wurde daraufhin die Arbeitszeit anders organisiert. „Es ist etwas ins Rollen geraten“, sagt Robert Rath, Sprecher des Landesamtes.

Mitarbeiter klagen:„Der Druck ist extrem hoch. Krankheit wird nicht toleriert“

Das findet offensichtlich auch die Gewerkschaft Ver.di. Denn am Montag unterzeichneten Gewerkschaftler Rolf Büttner und Oberbriefausträger Günter Thiel eine Vereinbarung. Laut der sollen Verhandlungen im ersten Halbjahr 2007 zum Abschluss eines bundesweit geltenden Tarifvertrages führen. Büttner zeigte sich ganz optimistisch: „Wir sind uns einig, einheitliche soziale Mindestanforderungen im Postzustellbereich durchzusetzen.“ Das wäre ein deutlicher Fortschritt für die Mitarbeiter.

Dass das Einlenken der Pin AG völlig uneigennützig ist, darf bezweifelt werden. Der Vertrag mit dem Senat für die Zustellung von täglich rund 100.000 Briefen an 250 Tagen im Jahr läuft zum 30. September 2007 aus. Laut dem im November von SPD und PDS unterzeichneten Koalitionsvertrag darf der Senat Aufträge künftig nur noch an Unternehmen vergeben, die nach Tarifvertrag beschäftigen. Und für die Pin AG steht somit ein Geschäft in zweistelliger Millionenhöhe auf dem Spiel.

Für Ver.di scheint der Schwenk des Unternehmens überraschend gekommen zu sein. Noch vor gut einer Woche hatte Benedikt Frank vom Ver.di-Landesverband Berlin-Brandenburg gepoltert: „Die Pin AG ist ein Unternehmen, bei dem mir die Ohren schlackern.“