piwik no script img

Archiv-Artikel

Spitzelbehörde blickt nicht durch

Der Verfassungsschutz leistet sich neue Patzer. Im Zuge der geplanten G-8-Proteste in Heiligendamm hat er für Berlin eine Gefahrenanalyse erstellt: Wieder wirft die Behörde dabei linke Gruppen willkürlich in einen Topf

Man kann sich grundsätzlich fragen, warum sich ein rot-roter Senat eine Spitzelbehörde leistet. Doch selbst wer die Rolle des Verfassungsschutzes prinzipiell befürwortet, muss sich in diesen Tagen die Frage gefallen lassen, warum die Behörde nicht imstande ist, herauszufinden, wo die rechtsextremistische NPD diesen Sonntag ihren Landesparteitag abhält. Jetzt haben sich die Verfassungsschützer weitere Patzer geleistet. In einer aktuellen Analyse über „Linksextremistische Protestvorbereitungen gegen den G-8-Gipfel 2007“ in Heiligendamm schildern sie die mögliche Gefahrenlage in Berlin. Erneut zeigt sich: Die Autoren malen den Teufel an die Wand.

Aufgeführt werden in dem achtseitigen Bericht sämtliche linke Gruppen in Berlin, die in den vergangenen Monaten in irgendeiner Weise in Erscheinung getreten sind. Darunter zum Beispiel die Antifaschistische Linke Berlin (ALB), die per se in der „militanten autonomen“ und damit gewaltbereiten Szene angesiedelt wird – ohne zu belegen, was sie seit ihrer Gründung 2003 überhaupt „Gewalttätiges“ verbrochen hat.

Als „linksextremistische Gipfelgegner“ wird auch die trotzkistische Gruppe Linksruck erwähnt. Ihre Mitglieder waren im vergangenen Jahr allerdings vor allem damit beschäftigt, die Fusion der WASG mit der PDS voranzutreiben. Gewalttätige Bestrebungen gingen von Linksruck-Mitgliedern allenfalls dann aus, wenn sie auf einem der WASG-Parteitage mit der Faust auf den Tisch schlugen – weil wieder einmal ein Fusionsgegner sie zur Weißglut gebracht hatte.

Ausführlich beschrieben werden auch drei linke Bündnisse gegen den G-8-Gipfel. Obwohl die Autoren des Berichts erkannt haben, dass die strategischen und politischen Unterschiede der Gruppen zum Teil sehr groß sind, kommen sie zu der Einschätzung, dass es allen darum geht, „den Gipfel maßgeblich zu stören“ – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Form der Proteste noch gar nicht „spezifiziert“ sei.

Auch der Zusammenhang zu einer tatsächlich gewalttätigen Gruppe ist schnell konstruiert. In einem Satz wird die Gruppe Libertad zitiert, die bei den Protesten auf ein „produktives Chaos“ hofft. Gleich im folgenden Absatz werden die tatsächlich verübten Anschläge der Militanten Gruppe (mg) detailliert aufgezählt.

Am Ende ihrer Gefahrenanalyse kommen die Autoren zu der Einschätzung, „dass das linksextremistische Protestpotenzial aus heutiger Sicht hinter den Erwartungen der Aktivisten zurückbleibt“ – und widerlegen damit sich selbst. FELIX LEE