Brüssel berauscht sich an Biosprit

Mit dem Treibstoff vom Acker will die EU-Kommission nicht nur das Klimaproblem lösen, sondern auch den Streit mit der Automobilindustrie schlichten. Umweltschützer warnen jedoch vor Monokulturen und dem Preisanstieg von Lebensmitteln

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Brüssel hat ein neues Zauberwort: Biokraftstoff. Das klingt gesund, gefällt den Ökologen und besänftigt die deutsche Bundeskanzlerin. Denn ein höherer Anteil von Pflanzentreibstoff im Tank senkt den CO2-Gehalt in den Autoabgasen. Die geplanten strengen Auflagen für die Autoindustrie, gegen die Angela Merkel zu Wochenbeginn wetterte, würden dadurch vielleicht überflüssig oder müssten zumindest nicht so drastisch ausfallen.

Kommissionssprecher Johannes Laitenberger wand sich gestern wie ein Aal, als er gefragt wurde, ob sich die EU-Kommission ihre Tagesordnung von der deutschen Kanzlerin diktieren lässt. Die EU-Kommission hat ihre ursprünglich für den 24. Januar angekündigten Vorschläge für CO2-Grenzwerte bei Personenwagen um eine weitere Woche verschoben. Obwohl die Arbeit an dem „Paket“ angeblich zügig vorangeht, vermochte Laitenberger gestern nicht einmal zu sagen, ob ein Gesetzentwurf oder nur schwammige „Empfehlungen“ geplant sind.

Stattdessen legte die Kommission eine Richtlinie zur Treibstoffqualität vor. Die Hersteller sollen verpflichtet werden, Benzin mit geringerem Kohlenstoffgehalt zu produzieren und mehr Ethanol beizumischen. Zwischen 2011 und 2020 sollen sie die Treibhausgase, die bei der Herstellung, dem Transport und der Verbrennung ihrer Treibstoffe entstehen, um 10 Prozent reduzieren. Dadurch können laut der Kommission die schädlichen CO2-Abgase um 500 Millionen Tonnen reduziert werden.

Das klingt gut. In der Praxis bedeutet es aber, dass der Druck, in umweltfreundliche Technik zu investieren, von den Autoherstellern auf die Benzinraffinerien verlagert wird. Deutsche Autobauer und die amtierende Ratspräsidentin Merkel können ihre Krallen wieder einfahren. Mercedes, Porsche und BMW dürfen weiter Benzinfresser auf den Markt bringen, deren CO2-Bilanz doppelt so hoch ist wie die ursprünglich von Umweltkommissar Dimas für das Jahr 2012 angestrebten 120 g/km.

Dessen Sprecherin behauptete gestern, ihr Chef halte an diesem verbindlichen Sparziel fest. „Jeder, der darauf spekuliert, dass die Emissionsziele für Pkws aufgeweicht werden, wird eine Enttäuschung erleben.“ Doch hinter den Kulissen kämpft die Fraktion von Industriekommissar Verheugen weiter gegen Auflagen für die Fahrzeughersteller. Angeblich soll als Kompromiss ein Grenzwert von 130 Gramm pro Kilometer im Gespräch sein.

Umweltschützer und Grüne, die Biodiesel lange propagierten, sind inzwischen skeptisch. Die grüne Energieexpertin Rebecca Harms: „Biobrennstoff ist für die Agrarindustrie der Königsweg, um von einem zerstörerischen Weg auf den anderen zu wechseln.“ Denn der Anbau von Biomasse im großen Stil bedeutet Monokultur, Pestizide und Gentech - genau das Gegenteil von nachhaltigem Landbau.

Der Washingtoner Umweltexperte Lester Brown gab bei einem Zwischenstopp in Brüssel einen Eindruck davon, welche Folgen das „Ethanoldelirium“ haben kann: Die derzeit im Bau befindlichen Destillieranlagen werden die Hälfte der amerikanischen Kornernte verschlingen. Der Kornpreis hat sich in einem Jahr verdoppelt – und die Preise für Schlachtvieh ziehen nach.

„Mit dem Korn, das für 100 Liter Ethanol gebraucht wird, kann sich ein Mensch ein Jahr lang ernähren“, hat Brown ausgerechnet. Der Kampf um knappe Anbauflächen und knappe Eiweißquellen hat bereits begonnen. Die Grünen in Brüssel haben deshalb eine Kampagne gestartet, die eine Gabel zeigt, um die statt Spaghetti in Tankschlauch gewickelt ist. „Mehr Menschen ernähren – weniger Auto fahren“ steht darunter.