: Ein digitaler Schlüssel für die Erben
ÜBERBLEIBSEL Online-Banking, E-Mail, Internet-Kaufläden – nach dem Tod bleiben Daten und Werte zurück. Wie sich der digitale Nachlass regeln lässt
■ Passwortverwaltung: Bei Anbietern wie legacylocker.com können Lebende einen kostenpflichtigen Account eröffnen. Die Userin gibt ihre Internet-Accounts plus Passwörter an und bestimmt, wer diese nach dem Tod erhalten soll. Bei Bedarf können Abschiedszeilen für die Lieben hinzugefügt werden.
■ Methode Zettel: Die Vererbung des digitalen Schlüsselbundes geht auch kostenlos und Hacker-sicher. Man nehme Stift und Zettel, schreibe seine Passwörter mit zugehörigem Usernamen und Website auf und verwahre sie sicher. Bei den Bankunterlagen oder einer Vertrauensperson.
■ Zombie-Service: Wer nicht nur Daten vererben, sondern auch seine Persönlichkeit für die Nachwelt konservieren möchte, kommt bei virtualeternity.com auf seine Kosten. Die Firma erschafft ein blinzelndes und sprechendes Digi-Ich, das munter und unsterblich mit Hinterbliebenen quatscht.
VON NINA MARIE BUST-BARTELS
Wer stirbt, hinterlässt. Hinterbliebene bekommen die Schlüssel zur Wohnung, sichten die Überbleibsel eines Lebens. Hände fliegen durch Papiere und Unterlagen, Schränke und Schubladen öffnen sich, die Geschäfte werden geregelt, die Wohnung wird entrümpelt. Mit dem Totenschein geht es zur örtlichen Post, eine Kopie bekommen Telefonanbieter und Vermieterin.
Verbrachte die Verstorbene einen Teil des Alltags im Internet, hinterlässt sie dort Daten und Werte. Zugänge zu Internetbanking und Internetkaufhäusern, Blogs, Fotos und Netzwerk-Profile schwimmen weiter im Internet herum, das E-Mail-Postfach empfängt weiter Nachrichten. Hier können Hinterbliebene keinen Schlüssel ins Schloss stecken. Passwortgeschützt bleiben die digitalen Räume der Verstorbenen verschlossen.
Die Ansprechpartnerinnen für digitales Erbe sind schwer greifbar. Anders als die Post besitzt GoogleMail keinen Schalter in der nächsten Stadt.
Jeremy Toemans Großmutter wurde 94 Jahre alt. Trotz ihres hohen Alters googelte sie sich regelmäßig durchs Netz, verschickte digitale Briefe und spielte Bridge bei Yahoo. Als sie starb, kam Toeman nicht in ihren E-Mail-Account, um die weiter eingehenden Nachrichten zu beantworten. Das E-Mail-Postfach verschickt keine Mitteilungen „Adressat verstorben“. Nach dieser Erfahrung gründete er 2009 legacy locker, eine Firma zur Vererbung digitalen Eigentums.
Das US-Unternehmen verwahrt die Schlüssel zu den digitalen Räumen. Für jährlich 30 Dollar oder einmalig 300 Dollar kann der internetaffine Mensch seine digitalen Posten speichern und Erben bestimmen.
Während legacy locker ein Todesfall mitgeteilt werden muss, fragt deathswitch.com seine Kundinnen regelmäßig, ob sie noch am Leben sind – wenn gewünscht, sogar täglich. Wird dies nicht durch die Eingabe eines Passworts bestätigt, geht die Firma vom Todesfall aus und sendet den Begünstigten die digitale Hinterlassenschaft zu. „Bridging Mortality“ nennt die Firma ihre Dienste: Sterblichkeit überbrücken. Vererbt werden nicht nur Passwörter und Bank-Accounts, auch letzte Wünsche und Liebesbotschaften. Ähnliches bieten andere Unternehmen. Zu Preisen von bis zu 160 Euro im Jahr.
Das Ganze geht natürlich auch kostenlos. Wer Usernamen und Passwörter zu Lebzeiten aufschreibt und verwahrt, trägt dafür Sorge, dass das digitale Vermächtnis nicht verloren geht – auch ohne die digitalen Schlüssel einer Firma anzuvertrauen.
Die DSwiss AG gehört zu den größten Anbietern der Datenvererbung. Knapp 50.000 Kundinnen aus über hundert Ländern nutzen die Website datainherit.com. Die Schweizer Firma warnt, dass es unsicher sei, die digitalen Zugangsdaten auf einem Zettel aufzubewahren. Und wirbt mit digitaler Sicherheit durch ein Firewall-System gegen Hacker. Zudem werden die Daten auf einem Extraspeicher abgelegt, der nicht am Netz hängt.
Bei anderen Anbietern ist das nicht der Fall – wodurch das zentrale Speichern der Passwörter riskant ist. Das bestätigt auch Sandro Gaycken, der an der Freien Universität Berlin zu Sicherheit in der Informationstechnik forscht: „Solange die Daten in einem System gespeichert sind, das Zugang zum Internet hat, ist es relativ einfach für Hacker, dranzukommen.“ Die digitale Vererbung via Stift und Zettel ist nicht nur günstiger: Das Risiko liegt in der eigenen Hand.
Ist die Vererbung des digitalen Schlüsselbundes vollzogen, kann die Erbin die digitale Identität der Verstorbenen verwalten, Konten schließen, Rechnungen bei Internetkaufhäusern begleichen oder das Facebook-Profil zur Gedenkseite umgestalten.
Die digitale Hinterlassenschaft lässt sich zu Lebzeiten beliebig ausbauen. Anbieter wie slightlymorbid.com ermöglichen es, E-Mails aus dem Jenseits zu verschicken. Mit Lastpost.com können noch Jahre nach dem Tod, etwa anlässlich der Hochzeit der Enkelkinder, vorher hinterlegte Briefe verschickt werden.
„Virtuelle Unsterblichkeit“ bietet virtualeternity.com. Wenn die Hinterbliebenen dort einen digitalen Raum betreten, treffen sie ein künstliches Abbild der Verstorbenen. Die US-Firma erschafft aus einem Foto, einer Stimmprobe und einem Persönlichkeitstest ein virtuelles Ich. Das Programm ist in der Lage, in standardisierter Weise auf Fragen zu antworten. Ist es zu Lebzeiten mit genügend Informationen gefüttert worden, bekommt es eine Persönlichkeit. Nach dem Tod können Freundinnen und Familie mit der digitalen Nachahmung der Verstorbenen sprechen – nur am Computer, dafür aber mit Bild und Stimme.