: „Ein Volk, eine Zigarette“
Volker Ilgen und Dirk Schindelbeck erzählen die Geschichte der deutschen Reklame. Ihr schönes Buch ist unterhaltsam und lehrreich
In Deutschland herrschte die „Blechpest“. Immer häufiger blickten die Menschen Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts an Mauern und Hauswänden auf bunte Emailschilder, die der Verkaufsförderung dienen sollten. Viele der Bleche kamen von Firmen, die wir heute noch kennen: Maggi, Stollwerck und Suchard – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Doch mancher Zeitgenosse hatte an der Reklame wenig Freude. Vor allem der Bund Heimatschutz kämpfte gegen die vermeintliche Verunstaltung des Straßenraumes durch „Email-Plakate.“
Was einst Ärgernis war, ist heute Kunstwerk. Das Blech von einst erzielt längst an den Kunstbörsen satte Liebhaberpreise. Denn Werbung, die einst Reklame hieß, war stets – und ist bis heute – ein Spiegel der jeweiligen Gesellschaft. Und so erzählt das Buch „Am Anfang war die Litfaßsäule“ ganz nebenbei auch 150 Jahre deutscher Geschichte auf eine bemerkenswert leichte Weise, die jeden Geschichtslehrer neidisch machen muss: elegant geschrieben, grandios in der Optik – und gleichwohl prall gefüllt mit Fakten zur deutschen Historie.
Wir lernen, wie jedes Produkt werbend seinen Bezug zur jeweiligen Weltgeschichte suchte. Eine Berliner Kunstwerkstätte pries zu Zeiten des Ersten Weltkriegs ihren „deutschen Schmuck aus echter Geschoss-Bronze mit Ort und Datum jeder Schlacht“ an. Zigaretten trugen zur selben Zeit die martialische Aufschrift „Kanonen-Krupp“, eine Mundharmonika wurde als „Schützengrabenharfe“ verkauft, Stollwerck produzierte die „Hindenburg-Schnitte“ und Asbach „das gesunde Erfrischungsgetränk unserer Krieger“.
Zugleich kursierten im Lande Handzettel mit der Aufschrift: „Sendet Ullstein-Bücher ins Feld“, während eine Verdeutschung der Sprache längst erfolgt war: Eine Zigarette, die in besseren Zeiten noch weltläufig „Gibson Girl“ heißen durfte, war zwischenzeitlich zur Marke „Wimpel“ umfirmiert.
Aber es kam noch dicker. „Ein Land, ein Volk, eine Zigarette“, konnte man 1934 lesen. Und allseits warben die unterschiedlichsten Fabrikanten für den national geleiteten Konsum: Esst deutsche Butter, esst deutschen Käse, esst deutsche Salzheringe. Texter formulierten: „Afri-Cola marschiert erfolgreich in ganz Deutschland“ vor dem Hintergrund einer großdeutschen Landkarte. Eine Lackfabrik pries ihre „Wehrmachtfarben“ zum Verkauf an. Ein düsteres Kapitel auch für Reklametreibende.
Da blickt man doch lieber weiter zurück auf die befreiende Leichtigkeit, die manche Reklame aus der Zeit vor den Weltkriegen ausstrahlt. So zum Beispiel die von 1895, als Bahlsen in frischer Jugendstiloptik noch als „Cakes-Fabrik“ in Erscheinung trat. Oder die von 1908, als eine Flohfangmaschine „für Handbetrieb oder Motor“ als „größte Erfindung der Neuzeit“ gepriesen wurde. Überboten allenfalls von der Werbung für Fahrradreifen mit neckischer Dame von 1904, deren Abbild noch einen Hauch von Toulouse-Lautrec verströmt. Werbung als Kunstwerk.
So haben Volker Ilgen und Dirk Schindelbeck ein Buch geschaffen, das beim Lesen gleichermaßen Spaß macht wie beim Blättern, ein Buch, das sowohl Wissen vermittelt als auch Unterhaltung bietet. Es ist eines jener Werke, die einen nach der Lektüre nicht mehr loslassen. Man wird künftig an der Bushaltestelle stehen und darüber nachdenken, wie wohl spätere Generationen einmal über unsere heutige Plakatpest urteilen werden.
BERNWARD JANZING
Volker Ilgen, Dirk Schindelbeck: „Am Anfang war die Litfaßsäule. Illustrierte deutsche Reklamegeschichte“. Primus Verlag, Darmstadt 2006, 29,90 Euro