Der Schmerz des Unbesiegbaren

Endlich: Im Flachland zeigt Lance Armstrong große Schwächen. Der ehemalige Radprofi, dessen Karriere unter Vorbehalt steht, schlepptsich beim New-York-Marathon mit schweren Beinen ins Ziel und muss zur Kenntnis nehmen, dass er fürs lange Laufen nicht gemacht ist

NEW YORK taz ■ Lance Armstrongs Kraft reichte genau für 42,195 Kilometer aus, keinen Zentimeter mehr. Eine ganze Schar von Helfern musste den Tour-de-France-Champion aus dem Zielbereich geleiten, nachdem er die Zielgerade des New Yorker Marathons im Central Park erreicht hatte. Aus eigener Kraft hätte es der erfolgreichste Radprofi aller Zeiten nicht mehr von der Stelle geschafft. „In meinem gesamten Sportlerleben“, gestand er eine halbe Stunde später, nachdem er sich mühsam humpelnd die 300 Meter zum Pressezentrum im vornehmen New York Athletic Club geschleppt hatte, „war das heute mein härtester Kampf.“ Einen zusätzlichen Weg konnte Lance Armstrong sich immerhin sparen; zur Dopingkontrolle wurde er als Volksläufer nicht gebeten.

Dass er so hart hat kämpfen müssen, ist für jemanden, der siebenmal das härteste Radrennen der Welt gewonnen hat, ziemlich erstaunlich. Doch offenkundig sind kein Pyrenäenpass und keine Alpenetappe so hart, wie 42 Fußkilometer auf dem New Yorker Asphalt. Jedenfalls nicht für einen Radstar im Ruhestand, der jetzt gut 8 Kilo mehr auf den Rippen hat als in den Tagen, in denen er Jan Ullrich und dem Rest der Welt mit Leichtigkeit davonradelte. Und der, wie er nach dem Lauf einsehen musste, für das Laufen kein besonderes Talent hat: „Ich habe mir die Eliteläufer mit ihren Bleistiftbeinen heute angesehen. So werde ich wohl nie aussehen.“

Lance Armstrong hatte sich das alles leichter vorgestellt. „Ich habe das unterschätzt“, gestand er. Eine dreiviertel Stunde Jogging pro Tag, nur ein einziger Trainingslauf von mehr als 20 Kilometern – das war seine ganze Vorbereitung. Mit der Grundlage von vielen hunderttausend Radkilometern, dachte Armstrong, kann so ein Lauf schon nicht so schwer werden. Doch er wurde schwer, sehr schwer, auch für einen Athleten wie Armstrong. Spätestens, als er nach 30 Kilometern durch Harlem trottete, krampften Armstrongs Beine, sein Oberkörper wirkte steif und sein Gesichtsausdruck verriet blankes Entsetzen. „Das war eine demütigende Erfahrung“, sagte er, als er endlich in einem der Plüschsessel des New York Athletic Club sitzen durfte.

Allerdings hatte Lance Armstrong sich das Leben auch selbst schwerer gemacht, als er das hätte tun müssen. Zwei Jahre nach seinem offiziellen Karriereende hätte er den Marathon einfach mitlaufen können, ohne sich Ziele zu setzen. Seinem Sponsor Nike, für dessen neue Schuhserie er unter anderem in New York Werbung lief, wäre es jedenfalls gewiss gleichgültig gewesen, ob Armstrong drei Stunden oder dreieinhalb braucht. Doch ein Wettkämpfer bleibt nun mal ein Wettkämpfer und so hatte sich Armstrong partout vorgenommen, unter 3 Stunden zu bleiben. Insgeheim wollte er sogar schneller laufen als sein ehemaliger Radlerkollege Laurent Jalabert, der im vergangenen Jahr für den New Yorker Marathon 2 Stunden und 55 Minuten gebraucht hatte.

Deshalb startete Armstong auch rasant in den Lauf: „Ich musste ihn zu Beginn ständig bremsen“, erzählte der ehemalige Marathon-Champion Alberto Salazar, den Nike Armstrong als Eskorte zur Seite gestellt hatte. Als er 10 Kilometer vor dem Ziel die neuen Wunderschuhe kaum mehr vom Asphalt hoch bekam, so Armstrong, war ihm jedoch die Zeit schon lange nicht mehr wichtig: „Ich bin jetzt zwar froh, dass ich doch noch unter 3 Stunden geblieben bin“, sagte er später. „Aber bei Kilometer 35 wollte ich nur noch ins Ziel kommen, da war mir alles egal.“ Armstrong brauchte schließlich 2:59:36 Sunden, womit er auf Platz 856 im Gesamtklassement landete.

Nach dieser New Yorker Erfahrung schließt Armstrong eine Marathonkarriere definitiv aus. „Ich weiß nicht, wie ich in einem Monat denke, aber im Moment verspüre ich wenig Lust, mir so etwas noch einmal anzutun“, sagte er, bevor er einem heißen Bad und einem kühlen Bier in seinem Hotelzimmer entgegen stolperte. „Wenn ich mich konzentrieren würde und richtig dafür trainieren, könnte ich vielleicht zweieinhalb Stunden laufen“, sagte er. „Aber warum zum Teufel sollte ich so etwas tun wollen?“ Schließlich würden ihm dann zur Weltklasse noch immer 20 Minuten fehlen. Ein Marathonlauf ist eben kein Radrennen. SEBASTIAN MOLL