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Archiv-Artikel

„Das war ein schwarzer Tag für Steinmeier“

Die Opposition sieht sich nach der jüngsten Ausschusssitzung zum Fall Kurnaz bestätigt – für die SPD hingegen ist der Außenminister entlastet. Ein bizarrer Kampf um die Deutungshoheit über die geheimen Zeugenaussagen läuft

BERLIN taz ■ Für die SPD ist der Fall Murat Kurnaz so gut wie geklärt. Die Befragung der drei Beamten von BND und Verfassungsschutz, die mit Kurnaz im September 2002 in Guantánamo sprachen, haben die Sozialdemokraten in ihrer Überzeugung bestärkt, dass die halbe Republik in diesen Tagen einem Lügenmärchen aufsitzt. Diesem Märchen zufolge hat die rot-grüne Regierung im Herbst 2002 ein Angebot der US-Amerikaner zur Freilassung von Kurnaz abgelehnt und den jungen Mann vier weitere Jahre in der Hölle von Guantánamo schmoren lassen. „Für mich steht jetzt fest: Es gab überhaupt kein Angebot der Amerikaner“, sagt Thomas Oppermann.

Oppermann vertrat diese Auffassung am Donnerstagabend, nach der Befragung der drei Geheimdienstmitarbeiter im BND-Untersuchungsausschuss. Und er vertritt sie mit Leidenschaft auch noch am Freitag. Der Obmann der SPD im Untersuchungsausschuss sieht es genauso wie sein Parteifreund Frank-Walter Steinmeier: Die Chance, Kurnaz freizuverhandeln, werde aus Vermerken verschiedener Akten „zusammengedichtet“. So hat es der Außenminister am Donnerstag in der Zeit formuliert – bei einem seiner wenigen, wohl ausgesuchten Gespräche mit Journalisten.

Lässt die Befragung der Herren R. und D. vom BND sowie des Herrn K. vom Verfassungsschutz diesen gewagten Schluss zu? Kaum einer kann das beurteilen – die Sitzung des Ausschusses war geheim, die Ausschussmitglieder dürfen über die Aussagen der Geheimdienstmitarbeiter nicht sprechen, sondern nur allgemeine Wertungen abgeben. Was seit Donnerstagabend läuft, ist ein schmutziger und mit allen Finessen geführter Kampf um die Deutungshoheit über die Zeugenaussagen. Fest steht nur, dass diese drei Zeugen von zentraler Bedeutung sind. Fast alle der wichtigen Vermerke, die den Verdacht begründen, dass die USA Kurnaz wirklich freilassen wollten, gehen auf die Herren R., D. und K. zurück.

Also werden die Journalisten aus dem Umfeld des Ausschusses mit Indiskretionen gefüttert. Die Verteidiger Steinmeiers stellen die Professionalität insbesondere der beiden BND-Agenten infrage. Sie werden als Wichtigtuer beschrieben, die auf die Vernehmung von Kurnaz in Guantánamo schlecht vorbereitet gewesen seien und vage Annahmen über die Ungefährlichkeit des jungen Mannes aus Bremen als Gewissheit verkauft hätten. So soll R., der Leiter des Vernehmerteams, eingeräumt haben, er habe Kurnaz nicht mit belastenden Details aus den Ermittlungen der Bremer Staatsanwaltschaft konfrontiert. Der Verfassungsschutzbeamte K. hingegen soll deutlich gemacht haben, dass er diese günstige Gefahrenprognose damals nicht geteilt habe. Oppermann über die BND-Agenten: „Da waren die falschen Leute am falschen Platz.“

Die Steinmeier-Unterstützerfraktion streut weitere Details: So soll BND-Agent R. zugegeben haben, dass die Idee, Kurnaz als V-Mann in der deutschen Islamistenszene zu gewinnen, in einem Gespräch mit Steve H. geboren worden ist, „beim Bier“. H. ist ein CIA-Verbindungsoffizier aus Berlin, der die deutsche Delegation nach Guantánamo begleitete und an der Kurnaz-Vernehmung teilnahm. Mit der Lagerleitung in Guantánamo sei weder über Kurnaz’ Freilassung noch über Bedingungen dafür oder den Ort seiner Ausreise geredet worden. Nach Darstellung von R. habe es keine Möglichkeit der deutschen Seite gegeben, auf Kurnaz’ Freilassung einzuwirken.

Die Opposition ist über diese Einschätzungen empört. Sie hat eine völlig andere Wahrnehmung, kann aber, will sie sich an die gebotene Schweigepflicht halten, nicht mit Details aus der Vernehmung aufwarten. Es sei „unerträglich“, sagte FDP-Obmann Max Stadler zur taz, dass „erstklassige Sicherheitsbeamte als durchgeknallte Agenten dargestellt“ würden. Im Übrigen hätten die Einschätzungen der drei Beamten übereingestimmt. Für Stadler steht fest: „Es gab mehr als ein Angebot der US-Amerikaner. Die Bundesregierung hatte das sichere Wissen, dass Kurnaz freikommt, wenn geklärt ist, ob er nach Deutschland oder die Türkei ausreisen soll.“ Dieses „sichere Wissen“ bezog sie nicht aus einer „diplomatischen Note“, das sei in diesem Metier unüblich, sondern aus einer „Information des Pentagon“.

Wolfgang Neskovic (Die Linke) und Christian Ströbele (Grüne) haben ebenfalls keine Zweifel an der Professionalität der drei Beamten. „Deren Aussagen waren ein schwarzer Tag für Steinmeier“, sagte Neskovic zur taz. „Das kann bald jeder selbst nachlesen.“ Der Ausschuss beschloss, die Protokolle der Geheimvernehmung komplett zu veröffentlichen – vorausgesetzt, die Regierung gibt sie auch komplett frei.

JENS KÖNIG