: „Hitler so weit weg wie Napoleon“
■ Ausstellung im Curio-Haus: „Neofaschismus in der Bundesrepublik“ Von Marlene Reimers
„Neofaschismus ist mehr als das Hakenkreuz in Schülertischen“, weiß der Lehrer Hans-Peter de Lorent, zugleich Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW) Hamburg. Bei der Eröffnung der Ausstellung „Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland“ rief er denn auch zu Wachsamkeit auf: „Auch und gerade im weltoffenen Hamburg ist ein neofaschistisches Potential vorhanden.“ Bis zum 29. September ist die von der GEW in Zusammenarbeit mit der VVN/Bund der Antifaschisten erarbeitete Ausstellung im Curio-Haus zu sehen.
Auf 24 Tafeln stellen die Autoren Stefan Romey, Jürgen Schlalos und Helmut Stein in Wort und Bild die Wurzeln, Hauptinhalte und Strukturen des bundesdeutschen Neofaschismus dar. Der Schwerpunkt liegt auf Zitaten, die „für sich selbst sprechen sollen“, erläutert Gestalterin Angela Jansen. Unter Titeln wie „Volksgemeinschaft“, „Rassismus“, „Blut-und-Boden-Ökologie“, „Großdeutschland“ werden auf den Tafeln Gegenwart und Geschichte sinnfällig gegenübergestellt.
Die Worte und Bilder von damals und heute ähneln sich frappierend. Wie zum Beispiel auf der Tafel „Frauenverachtung und Mutterkult“: Hitlers Sprachrohr Joseph Goebbels geißelte einst „diese lauten Weiber, die sich in alles und jedes einmischen, ohne etwas davon zu verstehen. Sie verlernen dann meist ihre eigentliche Aufgabe: Kinder zu erziehen“. Die neofaschistische Zeitschrift „Volkstreue“ belehrte dazu 1992, „keine Frau“ könne „glücklich werden durch Emanzipation“, und Ute Fischer, „Bundesmädelführerin“ der verbotenen Wiking-Jugend, definierte zur gleichen Zeit die Rolle der „Mädel, Frauen und Mütter als Hüter (sic!) des Erbes und Blutes“.
Helmut Stein vom VVN/BdA möchte mit der Ausstellung vor allem Jugendliche zur Diskussion und zu Fragen anzuregen. Er kritisierte, daß man Alt- und Neofaschisten „toleriere und gewährenlasse“. Ein Blick auf heutige Erschei-nungsformen des Neofaschismus, dessen „Führer“, Organisationen und Medien zeigt, daß „wir es nicht mit einer Randfrage zu tun haben“. Stein wünscht sich einen anderen Umgang mit dem Thema an den Schulen: Im Moment werde das Pensum gepaukt, und es bleibe nicht viel mehr hängen als „ein paar Jahreszahlen“.
Landesschulrat Peter Daschner meinte hingegen, das Dilemma sei vielmehr, daß vielen Jugendlichen heute die unmittelbaren Bezüge fehlten: „Für Schüler ist Hitler ist genauso weit weg wie Napoleon“, beklagt er. Solche unmittelbaren Bezüge stellt die Ausstellung her und macht die Gefahr deutlich, daß der Faschismus in Deutschland mit Hitlers Tod keineswegs ausgestorben ist.
Ausstellung „Neofaschismus in der Bundesrepublik Deutschland“, Curio-Haus, Rothenbaumchaussee 15 (Rückgebäude), Mo-Do 9 Uhr bis 16.30 Uhr, Fr 9 Uhr bis 14 Uhr, bis 29. September
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