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„Auschwitz-Mythos“ straffrei

■ Neonazi Goertz wird auch in zweiter Instanz vom Gericht freigesprochen / Richterschelte für den Staatsanwalt Von Alex Fauth

„Es läßt sich nicht beweisen, daß mit dem Begriff ,Auschwitz-Mythos' der Holocaust geleugnet werden soll“, begründete Richter Dieter Kawlath gestern seinen Freispruch in der Berufungsverhandlung gegen die beiden Neonazis André Goertz und Jens Siefert. Auf dem Informationsband des „Nationalen Infotelefons“ hatte der 25jährige Goertz im Zusammenhang mit dem Film Schindlers Liste von „Auschwitz-Mythos“ gesprochen und wurde vom Amtsgericht im Februar freigesprochen.

In der von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Berufung sollte erneut geklärt werden, ob der Begriff „Auschwitz-Mythos“ mit der strafbaren „Auschwitz-Lüge“ gleichzusetzen ist. Rechtsanwalt Günther Eisenecker, der gestern den vor einer Woche von militanten Autonomen verprügelten Goertz-Verteidiger Jürgen Rieger vertrat, kostete in seinem Plädoyer in epischer Breite die Dehnbarkeit des Wortes „Mythos“ aus. Der Begriff sei in der deutschen Sprache – auch in rechten Publikationen – positiv besetzt und keineswegs mit Lüge gleichzusetzen. Er bezeichne vielmehr die Glorifizierung und Überhöhung. Die Aussagen seines Mandanten auf dem Nationalen Infotelefon seien „vielleicht nicht judenfreundlich“ aber keineswegs antisemitisch. Goertz, der Landesvorsitzender und Schatzmeister der inzwischen verbotenen FAP war, sei mit den Auschwitz-Leugnern und „Hitleristen“ nie einverstanden gewesen. „Völkisch gesinnte junge Menschen“ hätten andere Probleme wie die „Angst vor Überfremdung“, so daß ihnen kaum Raum für „Auseinandersetzung mit historischen Fragen“ bliebe. An Volksverhetzung hätten deutsch-national Eingestellte deshalb kein Interesse, weil „sie sich selbst als verfolgte Minderheit“ sehen.

Staatsanwalt Robert Junck sah es hingegen als erwiesen an, daß in Goertz' Aussagen eindeutig der Tatbestand der Verleumdung, Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener vorliegt. Mythos bedeute in erster Linie Lüge, Märchen, Sage und erst in zweiter Linie Glorifizierung; die Botschaft sei angesichts des „Empfängerhorizonts“ der Hörer des Nationalen Infotelefons offenkundig. Er forderte deshalb für Goertz sechs Monate auf Bewährung und für den Mitangeklagten Siefert, in dessen Wohnung das Telefon installiert ist, eine Geldstrafe.

Das Landgericht folgte der Staatsanwaltschaft insoweit, als daß auch der Richter zu verstehen gab, er halte Goertz' Beteuerungen, den Holocaust nicht zu leugnen, für eine Schutzbehauptung. Trotzdem habe nicht zweifelsfrei erwiesen werden können, daß „Auschwitz-Mythos“ in der rechtsradikalen Szene als „Codewort“ für „Auschwitz-Lüge“ gebraucht würde. Die Staatsanwaltschaft „hätte mehr Beweisanträge stellen können“, wie es die Verteidigung getan habe, rügte Richter Kawlath.

„Den Schuh zieht sich die Staatsanwaltschaft nicht an“, wies ihr Sprecher Rüdiger Bagger die Kritik zurück. Die Beweislage sei ausreichend gewesen. Das Gericht hätte sogar die Möglichkeit gehabt, selbst einen Gutachter zum Gebrauch des Begriffs „Auschwitz-Mythos“ zu bestellen. Staatsanwalt Junck wird in die Revision gehen, die in einem halben Jahr vor dem Oberlandesgericht erwartet wird.

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