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Zwischen Stammtischmief und Zweckoptimismus

■ Mit neuem Statt-Chef und viel Eigenlob ins Krisengespräch mit der SPD

„Wir sind im Aufwind“, „die Kinderkrankheiten sind vorbei“, und „es gibt in Hamburg für uns noch eine Chance“: Auf der Landesmitgliederversammlung der Statt Partei am Wochenende beschwor man die eigene Zukunft herauf wie Aladin den Geist seiner Wunderlampe. In der Stunde Null nach dem Sturz und Rausschmiß von Parteigründer und Chef-Querulant Markus Wegner blieb nichts unversucht, um die Bürgerbewegung zu reanimieren.

Den fünf Bürgerschaftsabgeordneten um Gruppenchef Achim Reichert ging es vor allem darum, sich für das Krisengespräch mit der SPD Streicheleinheiten aus den eigenen Reihen zu holen. Denn heute muß ein Kompromiß zum Zankapfel Gewerbesteuererhöhung gefunden und damit über den Fortbestand der Regierungskooperation entschieden werden.

Mit von der Partie im Statt-SPD- Spitzengespräch wird auch der frisch gekürte neue Parteichef Siefke Kerwien sein. „Ich habe schon meinen Zahnarzt-Termin abgesagt – mal sehen, was schmerzhafter wird“, so der 55jährige Unternehmensberater gestern zur taz. Kerwien, bisher Statt-Chef in Wandsbek und einziger Kandidat für das Amt des Landesvorsitzenden, wurde mit 79 von insgesamt 94 Stimmen gewählt. Sein Vorgänger Dieter Brandes war nicht wieder angetreten.

„Was wir brauchen, ist ein Mitreißer, einer wie Ole von Beust oder Joschka Fischer oder Voscherau oder Markus Wegner, nur ohne seine Fehler“, hatte Georg Sönksen (80) bei den Presseleuten Hoffnung genährt, daß es mit dem kabarettistischen Unterhaltungswert der Statt Partei noch nicht ganz vorbei ist. „Ich heiße weder Ole noch bin ich von Beust“, distanzierte sich Siefke Kerwien in seiner Antrittsrede zum Parteivolk von dem CDU-Smartie und -Fraktionschef. Und die SPD solle sich warm anziehen: „Was heißt hier soziale Symmetrie?“, so Kerwien zur sozialdemokratischen Begründung, warum es eine Erhöhung der Gewerbesteuer geben müsse: „Eine steuerliche Mehrbelastung ist Gift für die Unternehmen und damit für die Arbeitsplätze.“

Die letzten Zuckungen der Wegner-AnhängerInnen – die den scheidenden Landesvorstand nicht entlasten wollten – erinnerten noch einmal an alte Zeiten. Doch ansonsten war Ruhe eingekehrt, so daß die Diskussionen ums Sparen zwischen Stammtischmief und Wirtschaftsliberalismus dahinplätscherten: „Als Mitregierende haben wir in diesem Jahr ,ausländische Lesbeninitiativen' gefördert“, schüttelte sich der Stattianer Stephan Zieracks. „Projekte wie ,Männer gegen Männergewalt' sind wichtig“, hielt der Abgeordnete Christian Bölckow dagegen.

Während die Bürgerschaftsabgeordnete Rotraut Meyer-Verheyen „mit der neuen Linksorientierung der SPD eine Chance für uns“ witterte, störte Frank-Michael Bauer (Bergedorf), einer der letzten Querulanten, vor allem die „unheimliche Nähe“ zur SPD: „Hauptsache man torkelt 1997 gemeinsam über die Ziellinie.“ Silke Mertins

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