: Das Konzept einer kleinen Literatur
■ Literaturdebatte 2. Teil: Hamburger Autoren und militante Autisten Von Oliver Platz
Am 3. November veröffentlichten wir an dieser Stelle eine Polemik des Hamburger Schriftstellers Carsten Klook über den traurigen Zustand der Hamburger Literaturszene. Heute antwortet der Autor Oliver Platz.
An vielen Hamburger Autoren läßt sich als charakteristische Eigenschaft die Verachtung einer „literarischen Szene“ beobachten, jeweils mit der Bereitschaft gepaart, anderen die vermeintliche Verstrickung in eine solche vorzuhalten. Angesichts eines derart weit verbreiteten Distanzierungsbedürfnisses stellt sich allerdings die Frage, ob das Objekt der Ablehnung überhaupt existiert. Tatsächlich kann man das bezweifeln.
In Anbetracht der zahlreichen literarischen Aktivitäten in Hamburg mag dies zwar verwunderlich erscheinen. Die Fülle der Gruppen und ihrer Lesungen bleibt jedoch gestaltlos, unberührbar, zombiesk – die Versuche, sich Öffentlichkeit zu schaffen, werden häufig nur halbherzig unternommen, so, als wolle man im Grunde mit der Literatur unter sich bleiben. Infolgedessen verharrt die literarische Topographie der Stadt weitgehend im Unsichtbaren.
Der Grund für diese apathische Form der Aktivität dürfte in der zunehmenden Verwandlung einer Autoren- in eine Verlegerliteratur zu suchen sein. Junge Schriftsteller werden schnell die Erfahrung machen, daß sie in einem auf Verleger, Lektoren und Kritiker zugeschnittenen Betrieb ein eher nerviges Übel darstellen, das leichthin übergangen wird, ja daß sie häufig noch nicht einmal als ein zu Übergehendes zur Wahrnehmung kommen. Diese Ausschlußerlebnisse scheinen eine Atmosphäre zu bereiten, welche die Herausbildung einer selbstgewählten autistischen Grundhaltung befördert, und das selbst bei Autoren, die ihre Resonanzlosigkeitserfahrungen noch gar nicht gemacht haben.
In Hamburg führt diese verinnerlichte Chancenlosigkeit zu einer einseitigen Fixierung auf den institutionellen Bereich literarischen Geschehens – die Literaturstipendien der Kulturbehörde und die jährliche Anthologie Ziegel. Wer hier den gewünschten Erfolg nicht hat, dem gerinnen die regressiven Frustrationsenergien häufig zur puren Aggression gegen alles, was sich literarisch noch irgendwie bewegt und einen dadurch anficht: Autoren, die anders schreiben, Stipendien, die nicht an einen selber vergeben werden, Anthologien, die einen beharrlich ignorieren.
Das ist verständlich, denn einen Literaten, der seine publizistische Erfolglosigkeit nicht als existentielle Kränkung empfindet, muß man nicht ernst nehmen. Es liegt aber auf der Hand, daß militante Kahlschlagphantasien zur Problemlösung wenig beitragen: Aus Sehnsucht nach einem klaren Ziel nehmen sie ins Visier, wodurch Hamburg sich wohltuend von anderen Städten unterscheidet: Stipendien, den Ziegel, den Writer's Room.
Der vor einigen Wochen in dieser Zeitung erschienene Artikel von Carsten Klook „Depressive Toleranz“ ist in dieser Hinsicht gleichermaßen scharfe Beobachtung und unfreiwillige Illustration. Klook sieht die hier beschriebenen Phänomene zum Teil sehr deutlich, vergibt sich aber die Chance, sie konsequent zu durchdenken. Die Fruchtlosigkeit des Wartens auf eine Erlösung durch Institutionen verbindet er mit einer Systemkritik an allem Behördlichen („Repräsentationskultur“), d. h. einer politischen Argumentation, die er anschließend vorschnell mit einer ästhetischen Debatte verquickt. Die Mischung aus Dissidenz und Offenheit, die er fordert, wird ihm aber nur zu einem Ausgang, nie zu einem Eingang in irgend etwas.
Der Grundfehler dieser Einstellung scheint mir in der Ineinssetzung von „Literaturbetrieb“ und „Literaturszene“ zu bestehen. Der letzte Begriff meint nur das Milieu, dem man in Hamburg mehr Brisanz wünscht. Es ist symptomatisch, daß viele Hamburger Autoren offensichtlich ungern zu Lesungen von Hamburger Autoren gehen und daß keine ernstzunehmende Literaturzeitschrift existiert.
Es gälte daher, sich freizumachen für etwas wie eine Literatur der kleinen Einheiten, die sich vor dem Markt einen öffentlichen, wenn auch lokal begrenzten Raum zu suchen bereit wäre. Damit ist nicht der Rückzug in Nischen gemeint, sondern vielmehr ihre radikale Ausdehnung. Das Genie einer solchen Literatur läge in ihrer überschaubaren Vielfalt und der auf dieser unmittelbaren Sichtbarkeit fu-ßenden Lebhaftigkeit der Auseinandersetzung. Der Gefahr, daß sich die allgemeine Larmoyanz in beleidigte Dissidenz anstelle von lebhafter Regeneration umsetzt, läßt sich so begegnen. Nur eine ob ihrer Tätigkeit selbstbewußte und kritische Literaturszene wäre in der Lage, nicht nur über die drohende Auslagerung der Autoren aus dem Betrieb zu klagen, sondern auch mit Nachdruck Alternativen darzustellen.
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