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Die neue Hamburger Künstlerkette

■ Im Kunstverein eröffnete eine Ausstellung, die wie ein Kettenbrief funktioniert

Eine neue Methode zur Zusammenstellung einer Gemeinschaftsausstellung hat der Hamburger Kunstverein gefunden: Ein Künstler benennt seinen wichtigsten Kollegen und der wieder seinen wichtigsten und in einer Kette immer so weiter – und dann werden alle zusammen unter dem Titel Erste Wahl ausgestellt. Vor zwei Monaten brachte Rolf Rose mit seiner Entscheidung für Klaus Kumrow den Ball ins Rollen – und erst eine Woche vor dem Ausstellungsbeginn am vergangenen Donnerstag erfuhr der 26. und letzte, Ryoram Merose, von seiner Teilnahme.

Von Rose zu Merose, das Hamburger Mal-Establishment dominiert am Anfang und Ende der Künstlerkette, die durch die Beziehungen innerhalb der Künstlerschaft bestimmt ist. Stephan Schmidt-Wulffen hat einen Mechanismus entdeckt, nach dem sich eine Ausstellung „von selbst“ konstituiert. Und das Konzept entlastet den Kunstverein-Direktor von der direkten Stellungnahme zur Hamburger Kunstszene, die viele gerne von ihm gesehen hätten. Denn immer wieder wird der Vorwurf laut, der Kunstverein zeige nicht genug Hamburger Künstler, eine Aufgabe die viele andere aber bestens im benachbarten Kunsthaus abgedeckt sehen.

Die Kette führt zu vielfältigen Positionen, läßt aber die international bekanntesten Hamburger Künstler fast ebenso aus wie die aktuellsten im Sinne der sonst vorgeführten Linie des Direktors. Es ist ein großer Spaß, den Gründen für die einzelne Auswahl nachzuspekulieren und zu überlegen, wer alles in dieser Auswahl fehlt. Wie weit benennen die einzelnen Kunstfamilien ihre Kollegen und Ehepartner oder ihren Gegenpart? Wie weit kennen sich überhaupt die Teilszenen? Reden Filmer noch mit Malern, benennen die Jungen ihre Clique oder Vorbilder und Lehrer?

Solche Überlegungen sind interessanter als die ganze Versammlung bunter Dinge. Auch ist zu erkennen, daß die Kunst schon einer einzigen Stadt nur in speziellen Teilbereichen funktioniert. Die beschrifteten Luftschlangen von Annette Wehrmann ergeben auf dem Hochschulprojekt Treujanisches Schiff eine gute Performance, neben Claudia Pagels stillen, hintergründig ironischen Ölbildern ausgestellt, funktionieren aber sogar beide Kunstpositionen nicht mehr. Der Vergleich zwischen etablierter Galeriekunst und junger Szene, traditioneller Kunst von Hochschulprofessoren und offenen, sozial orientierten Prozessen konstituiert kein objektives Museum Hamburger Kunst, sondern relativiert die spezifische Leistung. Es bleibt nicht viel mehr als ein „Das-alles-gibt-es-also-und-ganz-sicher-noch-viel-mehr“.

Daß die Szene selbst einen riesigen Informationsbedarf hat, zeigte die bestens besuchte Eröffnung und der Wunsch nach Wiederholung des Projekts. Hajo Schiff

„Erste Wahl“, Kunstverein, Klosterwall 23, bis 28. Januar.

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