: Einmal muß Schluß sein: Günter Wands dritte Einspielung von Bruckners 8. Sinfonie vermißt vergangenes analytisches Genie
Vielleicht ist Günter Wand tatsächlich die Bruckner-Autorität unserer Tage. Landauf, landab läßt der 83jährige die Werke des frommen Österreichers spielen, und Bertelsmann, Wands „Medienpartner“, wird nicht müde, diese kontinuierliche interpretatorische Auseinandersetzung in immer neuen Tondokumenten festzuhalten.
Jüngstes Ergebnis ist die von Wand besonders bevorzugte 8. Sinfonie, die somit in dreifacher Ausführung von ihm auf CD vorliegt. Wie beim letzten Mal auch nun wieder als Live-Mitschnitt mit dem NDR-Sinfonieorchester.
Das Ergebnis ist wohl eine der überflüssigsten Neuaufnahmen seit Erscheinen von Karajans dritter Beethoven-Serie. Wo Wand früher, etwa in seiner epochemachenden Einspielung aus den siebziger Jahren, mit dramatischem Elan eine Werksicht jenseits aller Pathos-Weihestimmung eröffnete, ist der Impetus mittlerweile um entscheidende Grade gedämpft. Die durchweg breiteren Zeitmaße nutzt Wand jedoch nicht, Binnenspannung aufzubauen und die gewaltigen Steigerungen genießerisch auszukosten. Das Werk gerät ihm lediglich länger und langweiliger.
Wo früher das Scherzo vom einleitenden Hornsignal an uneinholbar voranstürmte, wirkt jetzt schon die unmittelbar folgende Streicherfigur wie ausgeleiert. Wo einst der rhythmische Grundpuls im Adagio sachte vorandrängte, dient er jetzt nurmehr als unscharfes Hintergrundgewaber. Verstärkt wird dieser Eindruck interpretatorischer Müdigkeit durch ein entferntes, verhangenes Klangbild.
Mehr Interesse könnte eine Mozart-Tschaikowsky-Kopplung des gleichen Teams beanspruchen, doch auch hier wird die verunklärende Tontechnik, die Wands Bemühen um analytisches Musizieren mehr erahnen als nachvollziehen läßt, den Einspielungen zum Verhängnis. Wand arbeitet die Architekturen von Mozarts g-moll-Sinfonie und Tschaikowskys Fünfter klar heraus, betont so den klassizistischen Formbezug des Russen. Die konsequente Vermeidung romantischer Schwelgerei und Seelensuche könnte somit das Werk all denen andienen, die es bislang eher als sinfonischen Edelkitsch abgetan hatten, doch allzuviele Stimmen werden durch die verwaschene Akustik verschluckt, Holzbläser gehen in den Klangmassierungen unter, das grelle Blech wirkt wie im Nachherein hinzugemischt.
Jörg Königsdorf
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