: Engel mit himmlischen Traktoren
■ Poetische Flausen und psalmodierende Figuren: Oskar Sodux' „Kreuzzüge in die Grauzone“
Eine Kleine Literatur, wie sie schon Tieck und Kafka forderten, wird nun zunehmend, frohlocken wir, Wirklichkeit. Die großen Verlagshäuser bringen in Mengen heraus, was auf dem Marktplatz taugt; die Speisung sprachlicher Vielfalt, das, worum es den Literaturen zu allen besseren Zeiten ging, liegt auch in Hamburg mehr und mehr Kleinstverlagen ob. Neben Gedichtbänden Charlotte Ueckerts und Thomas Böhmes erschien kürzlich im Hamburger Rospo-Verlag so auch der Debütband des 1958 geborenen Oskar Sodux: Kreuzzüge in die Grauzone.
Mag einen der Titel auch an Grünbeins Erstling Grauzone morgens erinnern – ein überfahrenes Vogelküken modisch-morbid als „Wärmeplastik nach Beuys“ zu bezeichnen, fiele Sodux, der unter anderem als landwirtschaftlicher Gehilfe arbeitete, in den neun versammelten Geschichten nicht ein.
Dessen Sicht auf Natur und Kultur und die Grauzone dazwischen ist verschrobener, verschobener, ein Blick, der nicht gewollt und gemacht, sondern gelebt und in schriftlicher Form nur widerwillig preisgegeben wird: „Vorher salbte man uns mit der matten Paste milder Furcht, und da, wo für uns der Horizont verlief, war altes Volk, Großonkel voran, in den pantomimischen Kampf verstrickt, im Wind, der an den Kleidern und dürftigen Haarschöpfen zerrte, mit ihren Rechen eine Ordnung zu halten. Jetzt (. . .) argwöhnten wir, die Dinge um uns herum könnten schon gewesen sein, bevor wir sie ersahen“, heißt es in der Erzählung „Frühstück bei Niob“.
Ölberg, Kahler, Lohmann, Kostede oder Niob sind Namen, die ihre Träger nicht nur plastisch machen, sondern sogleich als in karierten Hemden, mit gelben Zähnen, verschlafenem Blick, poetischen Flausen im Hirn und einem unüberhörbaren Hang zum Psalmodieren umherfuhrwerkend auf Sodux' Wortfeldern enttarnen: dicke Engel mit himmlischen Traktoren. Sie platzen herein – nicht nur in Zimmer. In alles, was ihnen zur Verfügung steht: in „Tage, die sich schlaffgepieselt haben“, in „hilflose, glückstrunkene Liebe“ und, immer wieder, „für einen glücklichen Moment Conferencier(s) in einer sich von selbst überstürzenden Geschichte“, die Sprache. Das Lektorat hat Sodux' sprühenden Adjektiv- und Diminutivkaskaden, noch uneingedämmt im Hamburger Ziegel nachzulesen, gutgetan. Ein selten schön gestalteter Band ist dabei herausgekommen, der, frohlocken wir, es geht um Literatur, auch ein Dilemma nachzeichnet: „Der Weg heraus ist für den Berufenen der Weg nach ganz tief drinnen, denn so einer hat die Welt verschluckt.“
Mirko Bonné
Oskar Sodux: Kreuzzüge in die Grauzone, mit 9 Holzschnitten von Tita do Rêgo Silva, Rospo Verlag, 1995, 142 S., 32,– Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen