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Der Dorn im Mulch

■ Gegen soziale Kontakte: Wohnungsbaugenossenschaft verwandelt Grünfläche in Stachelbeet Von Ludger Hinz

Ein bißchen wie im Märchen dürfen sich die BewohnerInnen eines Hauses in Volksdorf fühlen, wenn sie aus ihren Fenstern schauen. Gute tausend stachelige Büsche stehen dicht an dicht auf dem, was vordem eine Rasenfläche war. Verantwortlich für die eigenwillige Dornröschen-Atmosphäre ist die Hauseigentümerin „Walddörfer Wohnungsbaugenossenschaft“. Sauber- vor Begehbarkeit, befand die und schob mit ihrer originellen Pflanzaktion jeglicher Form von Grünflächen-Mißbrauch ein für allemal den Riegel vor.

Lange Jahre war das rund 600 Quadratmeter große Wiesenstück für die 20 MieterInnen im Waldreiterring 26 und viele NachbarInnen so etwas wie ein „sozialer Treffpunkt“, erzählt Bewohner Stefan Jung. Hier spielten die Kinder, wurde sommers im Freien gefrühstückt und das alljährliche Sommerfest veranstaltet. Besonders letzteres war der Wohnungsbaugenossenschaft ein Dorn im Auge. „Wir mußten etwas gegen die Unfallgefahren und die Mißstände tun“, wirbt deren Vorstandsvorsitzender Ulrich Stallmann um Verständnis und winkt mit einem Aktenordner, in dem er fein säuberlich die Vergehen der BewohnerInnen „gegen Umweltauflagen und Gesetze“ dokumentiert hat. Fotos von einem Kühlschrank und einem Motorrad, die zeitweilig die Rasenfläche verunziert hätten, finden sich dort und natürlich jede Menge Bilder von den inkriminierten Sommerfesten.

Und so rollten denn eines trüben Herbstmorgens die Bagger an. Die Rasenfläche wurde umgepflügt und dann zur Gänze mit einer dicken Schicht Rindenmulch bedeckt. Da kommt zwar kein grünes Hälmchen mehr durch, doch der braune Boden ist für Stachelsträucher ideal. Von den 1500 Dornbüschen, die die Hauseigentümerin vorsorglich ankarren ließ, mußte die Gartenbaufirma wegen Platzmangel einen Gutteil wieder mitnehmen. Dafür wurde zum angrenzenden Wald hin ein 1,50 Meter hoher Zaun gezogen. Kosten der „Umgestaltungsaktion“: rund 50.000 Mark aus der Genossenschaftskasse.

Ein Vermittlungsgespräch, mit dem die MieterInnen doch noch zu einer gütlichen Einigung kommen wollten – „wir durften nur zu zweit sein, ohne Rechtsbeistand“, erinnert sich Ivonne Sablonski an die Genossenschaftsauflagen – verlief wenig vielversprechend. Im Angebot: eine asphaltierte Ersatzfläche von etwa 30 Quadratmetern. „Damit könnten wir doch zufrieden sein, weil wir dann bei Regenwetter keine schmutzigen Füße mehr bekommen“, empört sich Sablonski über den Sarkasmus der Vermieter.

Ihre Erbitterung wird zwar von ihren MitbewohnerInnen geteilt, doch einige alteingesessene NachbarInnen beschwerten sich gerne mal über die „verkommenen“ Lebensweisen im Waldreiterring 26. In das nach dem Krieg errichtete ehemalige Witwenheim waren nach und nach junge Leute eingezogen, die mit ihrer eher lockeren Lebenseinstellungen den Argwohn mancher AnwohnerIn weckten, die nur noch lange Haare sah. Das Wort von der „zweiten Hafenstraße“ machte die Runde. Mehrjährige Auseinandersetzungen, nicht zuletzt über die „zu lauten“ Sommerfeste, fanden mit der Bepflanzungsmaßnahme nun ihren vorläufigen Höhepunkt.

Die MieterInnen haben jetzt eine Anwältin eingeschaltet. Sie will prüfen, ob sie sich auf das Gewohnheitsrecht berufen und vor Gericht ziehen können, da die Rasenfläche bereits seit Jahrzehnten als Treffpunkt genutzt wird. Das bestätigt auch die Anwohnerin Irma Lüthje, die seit 26 Jahren im Waldreiterring wohnt: „Früher war hier alles sehr schön. Wir haben uns auf der Wiese getroffen, es gab keinen Ärger. Jetzt ist alles nur noch tot, tot, tot...“

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