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Egozentrischer Greis

■ Betr.: Kolumne von Mathias Bröc kers: „Tune in, turn on, breathe out“, Wahrheit vom 5.12.95

Timothy Learys Ableben mit geklinktem LSD-Trip online für alle mediengeilen Voyeure als „Radikalität“ und gar als „Heldentat“ zu bezeichnen, zeugt von einem egovernebeltem Männerhirn, das die simpelsten Tatsachen des Lebens/Sterbens bzw. Religiösität in schlimmster Weise pervertiert: Mit dem Tod löst sich das Ego des Menschen auf, damit das Wesen des Menschen sich mit dem All-Einen wieder verbindet (religio = Rückverbindung). Was Leary zelebriert ist das genaue Gegenteil von dem, was der Tod den Menschen abverlangt: Er glorifiziert sein Ego – der Egoverlust wird zum Egotrip. Welch männliche Hybris! Auch ich habe Leary einst bewundert, jetzt erscheint er mir als ein von Altersstarrsinn und Todesangst gezeichneter Greis, der seine Bücher wohl auch nur mit dem Kopf geschrieben hat – und seine Gefühle verdrängt hat. Wer es nach Dutzenden von Trips und Jahrzehnten an Drogenerfahrung nötig hat, zum Sterben einen Trip einzuschmeißen, um „dem Geist das Verlassen des Körpers zu erleichtern“, hat wohl nichts aus seinen „Gipfelerlebnissen“ gelernt. Leary sollte wenigstens so demütig sein, seinen bewußtseinserweiternden Avantgarde-Anspruch als primitives Alpha-Männchen-Getue zu outen. Und Bröckers, dessen Kolumnen ich ansonsten gerne lese, fällt auch noch auf diese großkotzige Show herein. Schade. Vielleicht führen Yoga und Meditation doch zu mehr Klarheit als jahrzehntelanger Hanf- und LSD- Konsum? Aber das kostet mehr Anstrengung als einen Joint zu rauchen oder einen Trip zu klinken. Uwe Müller, Düsseldorf

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