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■ Lesereihe „Das Weiße Meer“ im Haus der Kulturen der Welt

Von Tirana über Istanbul nach Beirut, von Tunis nach Córdoba: Bis März 96 umschiffen fünf Lesungs-Wochenenden das „Weiße Meer“ im Haus der Kulturen der Welt: eine wunderbare Reise. Alpen, Apennin, Pyrenäen, Kaukasus, Libanon und der Atlas – das Knochengerüst des Mittelmeers, schreibt sein Biograph Fernand Braudel, war schon da, „ein raumverschlingendes, übermäßig großes, allgegenwärtiges Skelett“. Erst mit der Urbarmachung der Sümpfe aber öffnet sich der Raum. Die Ebenen mit ihren reichen Monokulturen treiben das Land über seine Grenzen zum Meer. Und rufen nach Eroberung. Andalusien zum Beispiel. Im April des Jahres 711 steht, von Süden her kommend, der Berbergeneral Tariq ibn Ziyad vor Gibraltar, gelockt von einem Land, „fruchtbar und schön wie Syrien, mild und lieblich wie der Jemen, reich an Düften und Blumen wie Indien“. Für al-Andalus beginnt das muslimische Zeitalter. Antonio Muñoz Molina erzählt davon am Sonntag in seiner Lesung aus „Stadt der Kalifen“.

Von Tunis her aber, wo sich mit der Saharischen Tafel das Land dem Meer öffnet, kam in den sechziger Jahren eine Literatur nach Europa, die ungleich interessanter ist als die Prosa von Muñoz Molina. „Wenn ich mich in diese zerklüftete Landschaft begebe“, schreibt ihr Autor Abdelwahab Meddeb, dann um „die okzidentale Methode auf meinen heimatlichen Boden zu tragen und die Aufgabe der Kritik zu Ende zu führen“. Ein universales Genie, das auf seinen Reisen von Padua nach Colmar, von Giotto zu Grünewald, die Befreiung von Gott in islamisch-christlicher Dialektik entziffert – ein Aufklärer, der von Ver- und Entschleierung genausten Bericht geben kann, ein Extremist, nicht nur in ästhetischer Hinsicht. Was für ein Buch, sein Roman „Talismano“! Meddeb liest morgen aus seinem Langgedicht „99 Stationen von Yale“. Adonis, sein Pariser Kollege aus Beirut, einer der bedeutendsten Vertreter der Hadatha (der „Modernität“), liest heute abend neue Gedichte. Von einem Raum, der anderen Koordinaten gehorcht: „Die Dichter/ kein Platz für sie – sie erwärmen / den Körper der Erde, sie erschaffen / für den Weltraum die Schlüssel.“ Fritz v. Klinggräff

Heute liest Adonis, morgen Abdelwahab Meddeb, am Sonntag Antonio Muñoz Molina. Beginn jeweils 20.00 Uhr. Sonntag,

11 Uhr: Gespräch mit den Autoren. Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten