: Mein wunderbarer Kulturterrorismus
Benetton mit den Mitteln von John Heartfield schlagen: Der US-Grafiker John Yates sieht sich als Punk auf dem Schrottplatz der Bilder. Mach es neu und setz deinen Namen drunter! ■ Von Joachim Hiller
Protest, Pöbeleien und Pullen mit Bier: Zwischen diesen Identitätsstiftern bewegt sich Punk auch im Jahre 20 nach den Sex Pistols. Doch was als musikalischer und ästhetischer Faustschlag ins Gesicht der „Spießer“ begann, ist heute ein Massenphänomen: MTViva und Chaostage, „Funpunk“ à la Green Day und Antifa erheben gleichermaßen Anspruch aufs Erbe. Doch selbst die Hardcore-Fraktion ist in unzählige Sub-Subkulturen zersplittert, von denen jede ihr eigenes Süppchen kocht.
Neben einem (selbst für Eingeweihte kaum noch zu durchschauenden) Stilwirrwarr hat die Diversifikation des Punkimpulses beim härteren Kern vor allem eines bewirkt: Die Waffen sind durchdachter und schärfer geworden. Waren einst Musik und Texte die Hauptkampfmittel, so wurde dieses Arsenal allmählich um geschriebenes Wort und Grafik erweitert. Um es provokanter zu formulieren: Die „Studentisierung“ der Szene ist fortgeschritten. Was ursprünglich reine, affektgespeiste Negation zu sein schien, muß heute anerkennen, daß Traditionen existieren, auf die man sich bezieht.
John Yates, 31, in England geboren, seit Jahren mit Wohnsitz in San Francisco, ist ein typisches Beispiel für diese Entwicklung. Zehn Jahre kursieren seine Arbeiten schon in der internationalen Punkszene. Man schätzt ihn für seine Kombination von rotziger „Fuck you“-Attitüde und wohlüberlegten, kalkulierten Slogans. Punk beerbt in seinen Mitteln den Feind: die wunderbare Welt der Werbewirtschaft.
Die Anfänge von Yates' Arbeiten liegen in den späten Siebzigern. Die Design-Elemente der ersten Punkwelle – grob gerastere Fotos und aus Zeitungsbuchstaben gebastelte Schriftzüge etwa – wurden bald von Grafikern aus dem Mainstream übernommen. Botschaften wie aus Erpresserbriefen wurden zur Masche, so daß Punk in gestalterischer Hinsicht wieder im Underground verschwand.
Anfang der Achtziger fand ein wichtiger Paradigmenwechsel statt: Destruktivismus und Provokation allein waren nicht mehr angesagt, die Punkszene politisierte sich, hatte plötzlich ein konkreteres Anliegen. Die Botschaft war nicht mehr: „Uns stinkt's, ihr könnt uns mal, wir wollen Spaß haben“, sondern: „Euer System ist das Problem, und wir wollen, daß sich etwas ändert.“ Englische Bands wie Discharge und Crass, aber auch die Dead Kennedys setzten diese neue Attitüde nicht nur textlich, sondern auch in der Gestaltung ihrer Plattencover um – mit der Verwendung morbider Fotos von Krieg und Zerstörung, ergänzt um kämpferische Slogans. Ein erster Rückbezug auf Traditionen: Der sterbende Why?-Soldat der Hippies stand plötzlich wieder hoch im Kurs.
John Yates ist ein Kind dieser Punkgeneration. 1965 in Leeds, England geboren, hatte er seine erste aktive Begegnung mit Punkrock an einem Wühltisch bei Woolworth: Eine Ramones-Platte war es, die den Zwölfjährigen infizierte. Später, in der Highschool, war Zeichnen das einzige Fach, in dem Yates überdurchschnittliche Leistungen erbrachte. Während seines Kunststudiums konzentrierte er sich auf Grafik und Fotografie – auf der Spur seines großen Vorbildes John Heartfield. Nach dem College arbeitete Yates einige Monate tatsächlich in einer Werbeagentur – Studium des Feindes und seiner Produktivkräfte wie Slogans und Schlagfertigkeit. „John könnte Millionen damit verdienen, Werbeanzeigen zu gestalten, aber statt dessen verwendet er seine Fähigkeiten darauf, genau diese Mechanismen zu demaskieren und zu zerstören, die angewandt werden, um die Gesellschaft gefügig und schläfrig zu halten“, kommentiert der einstige Dead- Kennedys-Sänger, Jello Biafra, später Yates' Haßliebe für die Werbewelt.
Bereits Mitte der Achtziger kam Yates' Kontakt mit Winston Smith zustande, einem Collagekünstler, dessen Arbeiten damals mehrfach als Cover von Veröffentlichungen auf Biafras Plattenlabel Alternative Tentacles verwendet wurden. Die beiden tauschten Arbeiten aus, und so bekam Biafra selbst Wind von Yates. Er bot ihm erst an, ein Booklet für die Dead Kennedys zu gestalten – und dann sogar den Job des Chefgrafikers in seinem Mini-Punkimperium. Yates, ein Dead-Kennedys-Fan der ersten Stunde, war begeistert und siedelte vor nunmehr acht Jahren nach San Francisco um.
Yates' erste Schritte in die (Punk-)Öffentlichkeit fanden Mitte der Achtziger in Form des Jellybean State-Fanzines statt. Als „Do- it-yourself-Kulturterrorismus“ bezeichnet er diesen ersten kopierten und von Hand gehefteten Agitprop-Gehversuch, dem nach seinem Umzug in die USA Punchline folgt. 14 Ausgaben dieses Fanzines erscheinen bis zum Juli '93 und dienen Yates vor allem dazu, sich ein Forum für die eigenen Arbeiten zu schaffen.
Thematisch lassen sich drei große Grundthemen ausmachen: Polizei, Militarismus und Demokratieverständnis, jeweils ganz konkret auf einen US-amerikanischen Kontext bezogen. Angesichts der englischen Herkunft Yates' mag der Eifer seiner Angriffe verwundern, aber wahrscheinlich ist es gerade diese kritische Distanz, die ein umso schärferes Attackieren der Fehlentwicklungen des american dream ermöglicht. Er klagt Polizeiübergriffe und US-amerikanische Interventionspolitik an, agitiert gegen Intoleranz und Ignoranz, Rassismus, Nationalismus und religiösen Fanatismus. In gewisser Weise könnte man Yates deshalb sogar als eine Art „Verfassungspatriot“ sehen. „Meine Arbeiten sind ein Ventil meiner persönlichen Frustrationen angesichts dessen, was um mich herum passiert“, erklärt er selbst eher allgemein.
Zwei Grundverfahren ziehen sich durch. Zum einen steht Yates, der mit dem Skalpell, aber auch mit dem Computer arbeitet, in der Tradition der Collage (er selbst beruft sich auf Heartfield, oben erwähnten Smith und Pop Art), zum anderen verwendet er das alte Punkschema, grob gerasterte oder kopierte Fotos, um prägnante Statements mit einem Agitspruch zu ergänzen.
Die Übergänge zwischen beiden Techniken sind dabei fließend. Ihre mal aufstachelnde, mal kommentierende Wirkung entwickeln die Grafiken aus der Kombination von Bild und Schrift. Yates: „Mein Prinzip ist, eine Sasche so einfach wie möglich zu halten. Ich versuche, meine Arbeiten in der gleichen Weise zu gestalten, wie es die Werbebranche mit ihren Anzeigen und Plakaten macht. Wir werden von deren Botschaften immer und überall bombardiert, können uns ihnen ein Leben lang nicht entziehen. Diese Botschaften und die Art, wie sie übermittelt werden, sind sehr simpel und direkt, damit sie möglichst jeder verstehen kann und sich angesprochen fühlt, letztendlich das Produkt also kauft. Das Ziel meiner Arbeiten ist es entsprechend, die Leute dazu zu bringen, mir meine Message abzukaufen. Die Einfachheit meiner ,Anzeigen‘ soll dabei Mißverständnisse verhindern.“
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Was seine Vorlagen betrifft, kennt der „Medienrecycler“, als der er sich selbst betitelt, kein Pardon. Ohne Skrupel und Rücksicht auf eventuelle Copyright-Verletzungen bedient sich der eifrige Sammler von Fotojournalismusbüchern an ihm passend erscheinenden Vorlagen – eine Art visuelles Sampling. Während im HipHop und Popbereich allerdings bereits spektakuläre Prozesse geführt wurden, ging hier der Raubzug bislang glatt. Offen bekennt Yates sich zum Plagiarismus, den er (wenn auch nicht gerade als erster) als eigene Kunstform definiert. Ein Bild, ein Foto entreißt er dem ursprünglichen Kontext, fügt es in eine neue Sinnumgebung ein. Was entsteht, ist eine Version des Originals – also ein neues Original? Plagiarismus, führt Yates im Vorwort zu seinem Buch „Stealworks“ aus, sei laut Websters Wörterbuch „eine Idee, die aus einer bestehenden Quelle abgeleitet wurde, als seine eigene auszugeben“.
„Stealworks“, der Titel dieser weitgehend kompletten Zusammenstellung seiner bisherigen Arbeiten, bedeutet dementsprechend soviel wie „Werke aus gestohlendem Material“. Sich als Plagiator, als Betreiber eines visuellen Schrottplatzes zu bezeichnen, damit hat Yates keine Probleme, seine Arbeiten leben von dem gleichen antikünstlerischen Effekt wie die der alten Avantgarden. Verhaßt ist der Kunstbetrieb, die oberflächliche Cliquenhaftigkeit des Kunstbetriebs. Wenig verwunderlich also, daß sich die Verbreitung seiner Arbeiten weitgehend auf die internationale Punkszene beschränkt. „Ich habe immer den Eindruck, sowieso nur Leute zu erreichen, die die gleichen politischen Ansichten vertreten wie ich“, erklärt Yates – und bringt damit sein Publikumsdilemma auf den Punkt. Mit der Veröffentlichung von „Stealworks“ ist allerdings der erste Schritt aus dem Ghetto getan, wird Yates plötzlich in anderen Kreisen wahrgenommen. Man fängt an, ihn herumzureichen, im letzten Jahr konnte er an einer Ausstellung in Frankreich teilnehmen. Die Anerkennung außerhalb der Punk-Comunity freut ihn – soviel gibt er zu; andererseits hat sich seine Ablehnung der etablierten Kunstszene dadurch nur noch verstärkt.
Mit dem beginnenden Erfolg steckt Yates in derselben Zwickmühle wie so viele Kreative aus einem subkulturelllen Kontext: Einerseits hungern sie nach mehr Anerkennung und Öffentlichkeit als das jeweilige Szeneghetto hergibt, andererseits scheuen sie sich, dessen Nestwärme aufzugeben. Das Prinzip Benetton: Im Nacken sitzt die berechtigte Angst, in der Umarmung durch den Betrieb lauere auch der Todeskuß. Dann nämlich, wenn Plakativität und Provokation nicht mehr „höheren“ Zielen dienen, sondern nur noch dem Verkauf nicht einmal guter Pullover.
„Stealworks – The Graphic Details of John Yates“ ist bei AK Press erschienen. P.O. Box 40 682, San Francisco, CA 94 140-0682, USA; $ 11.95
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