piwik no script img

Vor schwierigster Aufgabe

UNO-Flüchtlingshilfswerk: Die Rückführung von rund drei Millionen Menschen nach Bosnien wird mindestens zwei Jahre dauern  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Zumindest in Europa gibt es für die Aufgabe, vor der das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) steht, nach 1945 kein vergleichbares Beispiel. Rund drei Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus Bosnien sollen in ihre Heimat zurückgeführt und dort auch menschenwürdig untergebracht werden. Zahlreiche europäische Innenminister treffen sich deshalb in der kommenden Woche in Genf mit der UNO-Hochkommissarin für Flüchtlinge, Sadako Ogata, um das weitere Vorgehen zu beraten und zu koordinieren.

In der Genfer UNHCR-Zentrale wird kein Hehl daraus gemacht, daß man statt mit den Innen- lieber mit den Außenministern verhandeln würde. Denn diese – allen voran Deutschlands Klaus Kinkel – versichern derzeit noch, daß die Flüchtlinge nur „freiwillig“, „in gesicherte Verhältnisse“ und nur an „den Ort ihrer Wahl“ zurückkehren sollen. Ganz so, wie es im Abkommen von Dayton festgelegt wurde. Doch für Flüchtlingspolitik und Aufenthaltsrecht sind die Innenminister zuständig. Und die haben seit Unterzeichnung des Dayton-Abkommens in Paris am 14. Dezember ganz andere Akzente gesetzt.

Besonderen Alarm hat beim UNHCR der einstimmig gefaßte Beschluß der deutschen Innenministerkonferenz ausgelöst, das Bleiberecht für Kriegsflüchtlinge zum 30. März aufzuheben. Bei der üblichen dreimonatigen Übergangsfrist müßten sie spätestens zum 30. Juni ausreisen. Auch die Angebote deutscher Politiker, die Rückkehr mit Geldprämien zu beschleunigen, stieß beim UNHCR auf Ablehnung. „Ein kaltherziger Beschluß ohne Rücksicht auf die reale Situation in Bosnien“, kommentierte ein UNHCR-Mitarbeiter. „Als ob die durch Krieg, Zerstörung und ethnische Säuberung vertriebenen Menschen Wirtschaftsflüchtlinge wären.“ Deutschland, so die Befürchtung der UNO-Flüchtlingsbehörde, könnte eine negative Vorreiterrolle für andere Staaten spielen. Hier leben immerhin 320.000 Bosnier, fast die Hälfte aller ins europäische Ausland Geflohenen. Im Vergleich zu dieser Gruppe geht es den rund 1,5 Millionen Vertriebenen innerhalb Bosniens sowie den etwa 800.000 bosnischen Flüchtlingen in Kroatien und anderen exjugoslawischen Republiken weitaus schlechter. Diesen 2,3 Millionen Menschen gilt deshalb das vorrangige Augenmerk des UNHCR. Mit der Rückkehr von Flüchtlingen aus dem europäischen Ausland sei dagegen erst in der letzten der drei Rückkehrphasen zu rechnen, die nach Einschätzung von Hochkommissarin Ogata insgesamt „mindestens 2 Jahre dauern werden“. Als kurzfristige Maßnahme will das UNHCR in den nächsten Wochen „provisorische“ Winterbehausungen für obdachlose Vertriebene innerhalb Bosniens erstellen. „Unter keinen Umständen“, betont Ogata, dürften provisorische Behausungen oder Sammellager statt der gewünschten Rückkehrorte und Häuser unter der Hand zur Endstation für Heimkehrer werden.

Spätestens ab März sollen in zwölf Regionen Bosniens offizielle UNHCR-Beobachter stationiert werden, die laufend über wichtige Detailfragen berichten: Sicherheitslage, Stand der Wiederaufbaumaßnahmen, verfügbarer Wohnraum, Wasser- und Energieversorgung, Arbeitsplätze, medizinische Einrichtungen, Schul- und Ausbildungsmöglichkeiten. Von Genf aus sollen diese Informationen über Internet an möglichst viele dezentrale Informations- und Anlaufstellen für Flüchtlinge geschickt und laufend aktualisiert werden. Als Partner zur Einrichtung derartiger Informationsstellen sucht das UNHCR derzeit lokale oder regionale Flüchtlingsinitiativen, Behörden, Kirchengemeinden, Wohlfahrts- und Sozialverbände. Interessenten können sich bei den UNHCR-Verbindungsbüros in den nationalen Hauptstädten oder direkt in der Genfer Zentrale melden.

Die Kosten der Rückkehroperation für die nächsten zwei Jahre kalkuliert das UNHCR auf mindestens 500 Millionen US-Dollar. Doch selbst wenn dieses Geld zusammenkommt und die Umsetzung des Dayton-Abkommens störungsfrei vorankommt, dürften bis zum Sommer dieses Jahres bestenfalls 80.000 bis 100.000 Bosnier in ihre Heimat zurückkehren. Dieser Einschätzung wird beim UNHCR nicht widersprochen. Konkrete Zahlen gibt es offiziell nicht, aber andere Hinweise. So nennt Ogata den laut Dayton-Abkommen frühest möglichen Termin für die bosnischen Wahlen, den 15. Mai 1996, „völlig unrealistisch“. Zum spätest möglichen Termin, dem 15. August, sagt sie diplomatisch: „Mal abwarten.“ Beharren die USA und die EU auf dem Augustdatum, müssen Wahlkampf und Urnengang für rund zwei Millionen Menschen organisiert werden, die verstreut über mindestens zwölf europäische Staaten leben. „Freie, faire und geheime Wahlen“ (Dayton-Abkommen), die kann man sich beim UNHCR nur schwer vorstellen. Trotz aller diesbezüglichen Erfahrungen, die die UNO in Kambodscha, Namibia und anderen Konfliktregionen gesammelt hat. Wahrscheinlich wird ein Gutteil der Verantwortung für die bosnischen Wahlen auf das UNHCR zukommen, zumindest bei der Registrierung der Wahlberechtigten. Zugleich ist beim UNHCR aber auch die Befürchtung zu hören, daß die „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE), die im Dayton-Abkommen offiziell mit der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen beauftragt wurde, „diese Aufgabe allein nicht auf die Reihe kriegt“.

Um wenigstens „bei den multinationalen Ifor-Truppen das Bewußtsein für die Rolle und Verantwortung der zivilen Institutionen zu stärken“, wird das UNHCR in den nächsten Wochen 50.000 Plakate an die Soldaten verteilen mit den Artikeln des Dayton-Abkommens, die für die Kooperation zwischen UNHCR, Internationalem Roten Kreuz, regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) und der Ifor relevant sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen