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„In der Trauer liegt eine anarchische Gewalt“

■ Der „begeisterte Bestatter“ Fritz Roth (46) kämpft gegen die Lieblosigkeit seiner Branche, Trauerzombies und fand die Power in der Trauer: Küssen Sie die Toten noch einmal!

Fritz Roth ist Inhaber des „Hauses der menschlichen Begleitung“ in Bergisch-Gladbach und Wortführer einer Art „Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Friedhofsbestatter“.

taz: Was machen wir falsch beim Umgang mit dem Tod?

Fritz Roth: Es wird nur geklagt und geschimpft. Das ist traurig. Wir müssen radikal umdenken, raus aus den eingefahrenen Bahnen und ganz neue Formen der Trauerkultur finden.

Wie das?

Die Toten sind drittrangig. In unserem „Haus der menschlichen Begleitung“ versuchen wir, die Hinterbliebenen mündig zu machen. Ihnen zu helfen, das zu tun, was ihren Wünschen und Talenten entspricht. Und über das Gespür für den Tod ein neues Gespür für Endlichkeit und Lebendigkeit zu bekommen. Manche wollen die Särge selbst anmalen, einen Brief schreiben, Musik machen oder mit hundert Leuten am Grab singen. Sollen sie! Jetzt hatte ich junge Eltern, die hatten ihr totes Kind fünf Tage zu Hause und haben einen Sarg selbst gebaut aus kleinen Holzstückchen, toll! Ich versuche Mut zu machen, daß die Angehörigen die Toten selbst anziehen, sie selbst ins Grab legen, sie anfassen, noch einmal küssen.

So eine Art Death Education wie in den USA?

Wir müssen wieder lernen, mit dem Tod zu leben. Ich biete Seminare an, mache Musikabende, sogar Kabarett, „Der Tod im Rheinland“, und Veranstaltungen mit Hanns Dieter Hüsch. Um den Menschen einen Kick zu geben, beizeiten über diesen wichtigsten Einschnitt nachzudenken. Wenn jemand stirbt, muß man alles erst wieder ausgraben: Gefühle zeigen, weinen, wagen, Träume erzählen. Der Tod ist oft letzte Bastion, um wieder zu Gefühlen zu kommen, zu Nähe, zu einer Rebellion.

Rebellion in welchem Sinn?

Ich bin ein großer Anhänger von Veränderungen, auch von anarchistischen Bewegungen. Der Tod setzt anarchistische Energien frei. In der Power rebelliert man. Gerade die Trauer hat anarchische Gewalt, weil sie alles in Frage stellt. Diese Energien, all diese Wut und Trauer möchte ich in eine aktive Kreativität wandeln, so daß man sagt: Mensch, was hab' ich alles verpaßt, was kann ich noch alles in meinem Leben anstellen! Kürzlich kam zu mir ein kinderloses älteres Ehepaar, die wollten ihre Beerdigung regeln, ein teures Grab kaufen. Dann hab ich die gefragt: Wer soll das denn hinterher pflegen? Nehmen Sie ein kleines Urnengrab, fahren Sie lieber nach Mallorca. Leben Sie! Nutzen Sie Ihre Zeit! Als Begleiter bin ich für die Lebenden da, nicht für die Toten! Aus dem Umgang mit dem Tod kommt ein Lebenselixier. Man wird auf einmal zum größten Eiferer eines bewußten Lebens und kann allen möglichen Scheiß, dem man nachgelaufen ist, wegwerfen.

Hat das überhaupt noch etwas mit Religiosität zu tun?

Sicher nicht, wie sich die Kirchen das vorstellen. Religiosität aber im Sinne von spüren, daß ich, daß jeder etwas ganz Besonderes, Lebendiges ist. Der Bestattungsberuf muß ganz anders werden. Heute wird verwaltet, werden Fälle abgewickelt, ganz lieblos mit dem Tod umgegangen. Da werden den Toten Formalinlösungen eingegeben, um den Verfallsprozeß zu bremsen. Aber ich muß doch spüren, daß die Hand kalt ist, nur dann spüre ich meine eigene Lebendigkeit. Und manchmal gibt man noch Farbstoffe bei, dann sieht der tote Opa, der wochenlang vom Krebs zerfressen wurde, so rosig aus, als käme er gerade aus Ibiza. Da fördern wir Trauerzombies. Aber davon lebt die Branche. Trauerforschung wie in anderen Ländern gibt es in Deutschland nicht. Ich bin aus dem Verband ausgetreten, werde oft angefeindet. Und die Betroffenen dürfen sich nicht unterbuttern lassen von Bestattern, der Friedhofsverwaltung, weil irgendwas angeblich nicht geht. Auf den Putz hauen! Die sitzen alle auf einem hohen, hohen Roß. Neulich hatte ich jemand, der hat gesagt: Nein, Herr Pfarrer, so nicht, nicht mit Ihnen. Wir machen das lieber selbst. Gott sei Dank! Das ist auch Rebellion.

Hört man Sie so reden, freut man sich fast auf seinen Tod.

Todeserfahrung ist der größte Lebenshunger. Seit ich das mache, lebe ich viel intensiver. Ich lebe heute, was weiß ich, was morgen ist. Ich bin begeisterter Bestatter, ich bekomme so viel von den Menschen zurück.

Sie arbeiten auch mit Kindern: Gibt es für die einen Tag des offenen Sarges?

Es muß ein langsames Heranführen sein. Aufklärungsarbeit, auch in den Schulen. Ich arbeite in meinem Haus mit einer Puppenspielerin zusammen. Mit Schattenspiel kann die den Kindern ein Gefühl für Lebendigkeit und Nicht- Lebendigkeit vermitteln. Ich hatte im letzten Jahr 400 Grundschulkinder da, die kamen schreiend rein und gingen, ja, mit so einer Würde und einem Gespür für Endlichkeit und Seriosität. Da hätten wir Erwachsene uns eine Scheibe abschneiden können. Faszinierend. Wenn man Kinder mit dem Thema Tod konfrontiert, wird es um so menschlicher.

Wie wird denn Ihr eigener Grabstein aussehen?

Grabstein? Ich weiß nicht. Meine Zeremonie wird sehr von Musik bestimmt sein. Und meine Angehörigen und Freunde sollen nachher ein ganz tolles Essen haben. Vielleicht wird's ein großes Freudenfest.

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