piwik no script img

Keine Sorge, Volksfürsorge ...

Im Februar kommt eine private Versicherung gegen Einkommensverluste bei Erwerbslosigkeit auf den Markt. Doch die neue Arbeitslosenversicherung birgt viele Zusatzbedingungen  ■ Von Barbara Dribbusch

Eins ist klar: Der Markt ist riesig für das neue Produkt, fürchten doch Millionen von Menschen um ihren Job. Kosten und Gewinne sind genau ausgetüftelt. Und auch oberschlaue Versicherungsbetrüger fangen schon an zu rechnen. Das Versicherungsunternehmen Volksfürsorge AG in Hamburg bringt Ende Januar eine Police heraus, mit der sich ArbeitnehmerInnen gegen die Einkommensverluste bei Erwerbslosigkeit absichern können. Wenn sie mindestens zwei Jahre lang satte Beiträge eingezahlt haben und ohne eigene Schuld gefeuert werden.

Die Police sei „die erste wirkliche Innovation seit Jahren“ im Versicherungswesen, lobt Jörg Heidemann vom Deutschen Versicherungs-Schutzverband (DVS). Von einer „sensationellen Produktinnovation“ für „kleine Leute“ spricht gar der Versicherungs-Branchendienst „map-fax“.

Und so funktioniert's: Nur ArbeitnehmerInnen im Alter zwischen 22 und 50 Jahren können in die neue „Private Vorsorge bei Arbeitslosigkeit“ eintreten. Bedingungen sind ein unbefristetes, ungekündigtes und sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis seit mindestens drei Jahren. Gezahlt wird erst nach einer Wartezeit von zwei Jahren und für die Dauer von höchstens einem Jahr. Mit der Police können bis zu 90 Prozent des letzten Nettoeinkommens für den Fall der Erwerbslosigkeit gesichert werden.

Ein Beispiel: Ein lediger Arbeitnehmer, der 3.000 Mark netto verdient, bekommt im Falle einer Erwerbslosigkeit 60 Prozent, also 1.800 Mark Arbeitslosengeld. Die Versicherung gewährt einen Aufstockungsbetrag von 900 Mark. Dafür sind pro Monat für jeden Hunderter zwölf Mark an Beiträgen zu zahlen, macht einen Monatsbeitrag von 108 Mark.

Der oder die ArbeitnehmerIn müssen sich verpflichten, mindestens fünf Jahre lang Mitglied zu bleiben und zu zahlen, um in den Genuß der Leistungen zu kommen, erläuterte Volksfürsorge- Sprecherin Bettina Zander. Auch während einer Erwerbslosigkeit oder darüber hinaus werden demnach Beiträge fällig. Im genannten Beispiel müßte der Betroffene also 6.480 Mark an die Volksfürsorge entrichten, um maximal 10.800 Mark Leistung zu kassieren. Immer noch ein Plusgeschäft, mögen sich Oberschlaumeier denken und sich schon den Versicherungsbetrug ausmalen: erst eintreten, zwei Jahre warten, sich dann feuern lassen und kassieren. Die Mißbrauchsgefahr sei „recht hoch“, schätzt auch Heidemann vom DVS. Die Produktinnovatoren von der Volksfürsorge sehen dieses Risiko eher gelassener: „Keiner setzt doch leichtfertig seinen Job aufs Spiel“, glaubt Volksfürsorge-Sprecherin Zander. Unterm Strich habe der Erwerbslose mit 90 Prozent Einkommen letztlich immer noch weniger als während der Beschäftigung. Außerdem wird von der Leistung ausgeschlossen, wer durch eigenes Fehlverhalten eine Kündigung herbeiführt.

Wer sich vom Arbeitgeber im geheimen Einvernehmen kündigen läßt und nach einem Jahr Erwerbslosigkeit keinen Job mehr findet, macht ein dickes Minusgeschäft. Denn länger als ein Jahr gibt es kein Geld von der Volksfürsorge, weil nach einem Jahr in der Regel nur noch Arbeitslosenhilfe gewährt wird. Ein zusätzliches Einkommen aus einer Versicherung würde auf diese Arbeitslosenhilfe angerechnet. Das Versicherungsunternehmen sieht sich denn auch keineswegs als Sozialkasse: Mit 53 Jahren endet der Versicherungsvertrag automatisch, ältere Beschäftigte sind ausgeschlossen. Wer allerdings vor Erreichen dieses Alters nach einem Sozialplan entlassen wird, bekomme die Zuschüsse, so Zander.

Einer gewollten „Drehtürarbeitslosigkeit“ schieben die Versicherungsbedingungen einen Riegel vor. Im Anschluß an einen „Leistungszeitraum“ entsteht eine erneute Wartezeit, die das Dreifache des Leistungszeitraumes, also maximal drei Jahre, beträgt.

Ein Vorteil für die Versicherten: Die Beiträge sind nicht verloren, sondern stellen, ähnlich wie eine Lebensversicherung, auch eine Form des Sparen dar. Nach frühestens 15 Jahren Mitgliedschaft bekommen die ArbeitnehmerInnen die Beiträge zurückerstattet, abzüglich der gewährten Leistung. Nach 15 Jahren gebe es 80 Prozent plus Zinsen, so Zander. Die Rückerstattung steigt dann je nach Dauer der Mitgliedschaft auf 100 Prozent.

Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen habe die neue Vorsorge genehmigt, bestätigte die Sprecherin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen