piwik no script img

„Mitterrand, das ist mein ganzes Leben“

Frankreich nimmt Abschied von seinem ehemaligen Präsidenten. Zigtausende versammelten sich in Paris zu einem stillen „Adieu“. Ein Staatsakt und eine Beerdigung im Familienkreis  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die beiden jungen Frauen und der Mann haben sich untergehakt und sind eng aneinandergerückt. Andächtig lauschen sie der Symphonie von Mahler. Ihre Blicke ruhen auf dem großen Foto von einem winkenden François Mitterrand, das über der Bastille hängt. Regentropfen perlen über ihr Haar. „Mitterrand, das ist mein ganzes Leben“, sagt die Blonde. „Mitterrand, das war der Intelligenteste“, sagt der junge Mann. „Mitterrand hat die Todesstrafe abgeschafft“, sagt die mit dem Lockenkopf.

Die drei sind 1980 geboren. Als Mitterrand ein Jahr später zum ersten Mal Präsident wurde, lernten sie krabbeln. Sie haben kein anderes Frankreich kennengelernt als seines. Als er am vergangenen Montag starb, war das für sie auch ein Abschied von der Kindheit. „Natürlich mußten wir zu dieser Gedenkfeier kommen“, sagt der junge Mann.

Zigtausende sind an diesem Mittwoch abend zu einem letzten „Adieu“ an Tonton – Onkelchen – Mitterrand gekommen. Prominente aus der französischen Linken, Kommunisten und Sozialisten, die Mitterrand einst als Minister gedient haben. Erwachsene Franzosen, die 1981 ihre geballte Hoffnung auf eine politische Wende mit Mitterrand verknüpft haben. Und Tausende ganz junge, die noch nie gewählt haben. Viele haben eine rote Rose mitgebracht. Eine große Stille liegt über dem Platz. Mitterrand selbst hatte gewollt, daß sein Abschied so verlaufen solle. Monique war am 10. Mai 1981 schon einmal wegen Mitterrand auf der Bastille. Damals feierte das „Volk der Linken“ in einem Freudentaumel, der die ganze Nacht dauerte, den Sieg. „Es war ein großer Moment. Die Linke war an die Macht gekommen“, sagt sie leise. Dieses Mal hat sie ihre beiden neun- und zwölfjährigen Kinder mitgebracht. „Sie sind geboren“, sagt Monique, „weil ihr Vater und ich es in jener Nacht des 10. Mai 1981 beschlossen haben. Das war eine große Hoffnung.“

Ein paar Meter weiter in der schweigenden Menschenmenge stehen Jean und seine Frau. Auch sie waren schon vor 15 Jahren an der Bastille, auch sie haben ihre beiden danach geborenen Kinder mitgebracht. „Mit dem Wahlzettel“ sei er Mitterrand stets treu geblieben, sagt Jean. Aber er hat auch Kritik an ihm gehabt. Besonders die langjährige Beziehung zu dem einstigen Polizeichef von Vichy, Bousquet, verübelt er Mitterrand. An diesem Abend sind Jean und seine Frau gekommen, „um zu zeigen, daß wir Linke sind“. Und sie wollen jene große Hoffnung des 10. Mai bewahren.

Die Menschen rücken enger aneinander unter die wenigen Regenschirme. Ausschnitte aus drei historischen Reden Mitterrands werden jetzt übertragen. Auch seine letzte Neujahrsbotschaft als Präsident vom 31. Dezember 1994, als er den Franzosen ein langes Leben und Gesundheit wünschte und ihnen versicherte, er werde bei ihnen sein, egal wo er sein werde. Dann tritt Barbara Hendricks auf die Stufen der Bastille-Oper – jenes monumentalen Bauwerks aus Glas und Metall, das Mitterrand an diesem Platz zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution eingeweiht hat. Sie singt das Lied, das seit den Tagen der Pariser Commune die französische Linke mehr als jedes andere eint. „Le temps des cerises“ handelt von der großen Liebe, die die Herzen mit Sonne füllt. Von den unsäglichen Qualen danach und von der Sehnsucht und der Erinnerung jener „Kirschenzeit“.

Schweigend, wie sie gekommen sind, ohne Transparente und Flugblätter, verlassen die Menschen an diesem Mittwoch abend die Bastille. Sie haben Abschied von einem Symbol genommen, das bleiben wird.

Am Morgen danach ist der offizielle Trauerakt. Über sechzig Staatsgäste aus aller Welt sind nach Paris gekommen. Helmut Kohl, dem unaufhörlich Tränen aus den Augen rinnen, sitzt ebenso in Notre-Dame wie Jassir Arafat, Fidel Castro, der spanische König Juan Carlos und der russische Präsident Boris Jelzin. Zehn Bischöfe zelebrieren eine Messe, zu deren Höhepunkt wieder Barbara Hendricks singt.

Im südwestfranzösischen Städtchen Jarnac, dem Geburtsort Mitterrands, findet zeitgleich die Beerdigung statt. Die Familie hatte eine intime Feier gewollt. Daß Fotografen aus aller Welt kommen, die in den letzten Tagen astronomische Summen für einen Fensterplatz boten, hatte sie nicht verhindern können. Aber in die Kirche St. Pierre, wo der Ortspfarrer die letzte Messe zelebrierte, kamen sie gestern nicht hinein.

Mit militärischen Ehren wird der Sarg um elf Uhr vor St. Pierre abgesetzt. Dort ziehen Militärs die Trikolore ab und übergeben den Toten in seine Privatheit zurück: Nur Mitterrands Gattin Danielle und seine beiden Söhne sowie seine Tochter Mazarine und ihre Mutter, gefolgt von engen Freunden und Nachbarn aus Jarnac, geleiten den einstigen Präsidenten zu seiner letzten Ruhestätte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen