piwik no script img

„In Mannheim ist lange nichts mehr passiert ...“

■ Jahresbeginn in der JVA: statt Umschluß Prügel für einen suizidgefährdeten Gefangenen

Der nachfolgende Brief eines Gefangenen aus der Justizvollzugsanstalt Mannheim erreichte uns Anfang Januar. Der in dem Brief geschilderte Vorfall in der Neujahrsnacht wurde von der Anstaltsleitung bestätigt.

Es wäre geradezu verwunderlich, wenn es zum Jahreswechsel nichts aus der JVA Mannheim zu berichten gäbe. So will ich heute einmal verständlich unter die Menschheit bringen, wie Weihnachten oder der Jahreswechsel für einen Gefangenen in der JVA Mannheim aussah.

Der erst 25jährige *Martin S. war auf einer Gemeinschaftszelle untergebracht und hat eine Strafe bis Ende August dieses Jahres zu verbüßen, Grund: Drogendelikte. Martin ist Erstbestrafter. Auf der Gemeinschaftszelle war er mit einem Gefangenen aus Eritrea und einem Italiener untergebracht, von denen der eine wegen Vergehens an seiner Tochter einsitzt.

Martin hatte mehrmals darum gebeten, die Zelle tauschen zu dürfen, weil er transsexuell ist und Angst hat (Im folgenden Martina, die Red.).

In mir fand Martina eine Transsexuelle und die nötige Kraft und Unterstützung, konnte sich bei mir waschen und ging bei mir zur Toilette, was Vollzugsbeamte in Mannheim gar nicht verstehen können, denn Transsexualität ist für diese unvorstellbar.

Es war über die Weihnachtstage und am 31. Dezember 95 wie auch am 1.Januar 96 möglich, daß — laut Aushang — ein Umschluß über Nacht genehmigt werden kann, was zu Weihnachten auch kein Problem war.

Am 31. Dezember 95 waren bei Martina Depressionen erkennbar und der Umschluß über Nacht wurde wieder genehmigt. Als Martina am 1.Januar 96 wieder zu mir wollte, sie hatte die gleichen erkennbaren Depressionen wie ich, war trotz des Aushangs ein Umschluß nicht möglich. Nicht weil man nicht konnte, sondern weil der Stockwerksbeamte nicht wollte. Die Depressionen waren diesem nach seinen eigenen Worten vollkommen egal.

Der zuständige Wachhabende, an dem die Entscheidung lag, ließ sich vom Stockwerksbeamten leiten und stellte sich auf die gleiche Stufe. Wortwörtlich: „Ihr könnt machen was ihr wollt, es gibt heute keinen Umschluß mehr und der Aushang interessiert mich nicht.“

Da gab es noch die Möglichkeit über den Revierbeamten, den ich vom Stockwerk telefonisch erreichte und der bat, daß ich ins Revier komme, damit er mich sieht. Dies verweigerte nun der Stockwerksbeamte, weil für ihn offensichtlich „Depressionen“ ein Fremdwort ist, nach dem Motto: „in Mannheim ist lange nichts mehr passiert“.

So schloß er die Gefangenen ein und Martina als auch ich saßen neben der Haftraumtür auf dem Heizkörper. Der Beamte schloß die Zellen ab, als seien wir beide in unserer jeweiligen Zelle. Anschließend liefen wir zwei sofort zum Büro, um zu fragen, wann wir nun zum Revier kämen. Der Stockwerksbeamte sagte: „überhaupt nicht, alles weitere wird noch entschieden“.

Die Entscheidung sah dann so aus, daß etwa zwanzig Beamte in den Flügel und auf uns zukamen. Die unerfahrene Martina stand hinter mir und ich konnte sie nicht sehen. Ich forderte die Beamten auf stehen zu bleiben, sonst würde ich schneiden und setzte mir das Messer an den Hals. Der Stockwerksbeamte und der Aufsichtsbeamte (letzterer trägt die Verantwortung) gingen ständig weiter nach vorn mit den Worten: „dann schneidet doch“.

Es ist nur so zu verstehen, daß Martina beim Anblick der zahlreich erschienenen Beamten einen Aussetzer bekam und in Panik geriet. Sie schnitt sich die Pulsadern auf, schnitt sich quer von rechts nach links und von links nach rechts den Körper auf.

Weil dies für Mannheimer Verhältnisse noch keine Strafe bedeutet, haben zwei Beamte die Verletzte dann noch über das Geländer gedrückt und ein dritter schlug der Wehrlosen abwechselnd links und rechts in Nieren und Leber. Für die Vollzugsbeamten der JVA Mannheim hat so der Dienst im neuen Jahr wunschgemäß begonnen.

Zu erwarten ist, daß die von uns erstattete Strafanzeige, wie immer, wegen fehlenden Anfangsverdachts eingestellt wird. Die Mannheimer Richter ermitteln stets gegen Gefangene und nie für diese, in diesem Falle gegen Vollzugsbeamte, alles nach dem Motto: „war überhaupt etwas“?

Für mich hat die Beamtenschaft der JVA Mannheim, wie gewohnt, kläglich versagt, weil sie — und nicht die Gefangenen — ihre Macht durch vorsätzliche Körperverletzung demonstrierten.

Mit freundlichen Grüßen

S.G. JVA Mannheim

Martina wurde nach dem Vorfall mit schweren Verletzungen in das Städtische Klinikum Mannheim und einen Tag später in das Vollzugskrankenhaus Hohenasperg eingeliefert. Nach einer Woche sollte sie auf ihre alte Gemeinschaftszelle in Mannheim zurückverlegt werden, was sie verweigerte. Daraufhin wurde sie in eine Beruhigungszelle gebracht und nach einem weiteren Tag auf eine andere Gemeinschaftszelle.

S.G. und Martina haben Strafanzeige gegen die an dem Rollkommando beteiligten JVA-Beamten erstattet. Seit dem Vorfall unterliegen die beiden Gefangenen einer strikten Kontaktsperre, die von der Anstaltsleitung mit einem Abhängigkeitsverhältnis der beiden begründet wurde. Ihr Briefverkehr wird zensiert und Briefe zu den Akten genommen. Martina hat seither Einzelhofgang auf dem Revier.

Die Staatsanwaltschaft Mannheim gab derweil S.G. zu verstehen, daß gegen sie ebenfalls Strafanzeige erstatte würde, falls sie ihre Aussagen vor der inzwischen eingeschalteten Kripo aufrechterhalte. Die Anstaltsleitung hat es bisher nicht für nötig gehalten, die beiden Gefangenen zu dem Vorfall in der Neujahrsnacht zu hören.

Die JVA Mannheim gerät nicht zum erstenmal durch den Einsatz von Rollkommandos und äußerst brutale Einschüchterungsmethoden ins Zwielicht. Schon vor zwei Jahren hatte ein Gefangener aus Mannheim in einem auf dieser Seite veröffentlichten Brief über Methoden der Ruhigstellung in einem besonders gesicherten Haftraum (BGH) berichtet (siehe taz v. 1.März u. 3. April 1993). In diesem war der Gefangene 18 Stunden lang bei voll aufgedrehter Fußbodenheizung eingeschlossen. Dabei hatte er Brandblasen an den Füßen davongetragen und war beinahe verdurstet. Nach der Veröffentlichung seines Briefes in der taz wurde der Gefangene völlig isoliert, durfte nicht mehr zum Hofgang und bekam sein Wasch- und Rasierzeug abgenommen. Öffentlicher Protest aus dem Knast ist in der JVA Mannheim nicht erwünscht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen