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Helden: Hasen im Buchhandel Von Claudia Kohlhase

Der Hase im Buchhandel war für alle eine große Überraschung. Nicht nur, weil er auf einmal dasaß, sondern auch wegen seines korrekten Verhaltens.

Am interessantesten war allerdings, wie besonnen Kund- und Belegschaft mit Hasen, die auf einmal im Buchhandel erscheinen, umgehen. Es fiel kein überflüssiges Wort, niemand machte dumme Witze auf Kosten des Tieres, außer vielleicht jener alte Herr auf der Polsterbank der Cafeteria, der schnalzte.

Es schien, als würde dem Hasen alles gefallen, was er so sah, denn er hielt lange still und mümmelte bloß. Allerdings hoppelte er auch, bis ein kleines Mädchen hinter ihm herlief. Wie sich herausstellte, war es ihr Hase, wenn man einen solchen Hasen überhaupt zuordnen will. Ein, zwei interessierte Kunden fragten nun nach dem Namen, der natürlich Schnäuzchen lautete. Wenn ein Hase in einem Buchkaufhaus, der vorher noch nie da war, auf einmal Schnäuzchen heißt, ist der Reiz zwar schon etwas dahin, aber immerhin hoppelte er, seit sein Name bekannt war, wesentlich weiter.

Sogar der Herr auf der Polsterbank fand, er müsse ein wenig belustigt sein, und sah über seine Zeitung hinweg. Wer ein kleines Mädchen mit einem Hasen im Buchhandel ist, müßte dagegen stolz sein. Stolz und glücklich. Und das war sie auch. Während ihre Mutter stundenlang Bücher kaufte, saß sie hier umsorgt vom Hasen und all dieser Aufmerksamkeit, die er bewirkte und die am Ende ja auf sie zurückkam. Vor allem, als er nach einer längeren Runde ohne Zurufe wieder zu ihr hoppelte. Da hoppelten doch alle im Geiste mit, und als er, Schnäuzchen, dann plötzlich Männchen machte, strahlte sie so, als wäre das extra von ihr für uns eingebaut worden.

Je länger Schnäuzchen im Buchhandel blieb, desto ferner rückten die Bücher und der junge Schnösel hinter der Cafébar, der sich extra schick gemacht hatte. Aber seit dem Hasen war jeder oberflächliche Ernst umsonst. Irgendwie ging es dann so weiter, daß sich die meisten an das Vorhandensein eines Hasen im Buchhandel gewöhnten und nur ab und an Schnäuzchen riefen, während sie in günstigen Lexika blätterten. Das Mädchen nahm das gelassen, denn die Erstaunlichkeit ihres Hasen an Ort und Stelle konnte sowieso durch nichts gemindert werden.

Der Hase verhielt sich übrigens weiterhin korrekt, köttelte auch nicht und verharrte nur hin und wieder etwas zu lange unter der Polsterbank, so daß man ihn fast vergaß. Da legte der alte Herr mit einem Mal seine Zeitung beiseite und schaute nach ihm. „Willst du ihn verkaufen?“ fragte er das Mädchen. Alle schüttelten die Köpfe: Mein Gott, wie unsensibel, dieses reizende kleine Ding und sein reizendes Schnäuzchen mit einer so abwegigen Frage zu konfrontieren. „Niemals“, sagte selbstverständlich das Mädchen, und alle nickten heimlich. „Auch nicht für zehn Mark?“ fragte er hartnäckig zurück. Alle schnappten nach Luft, eine Unverschämtheit. „Nicht für 100.000 Mark!“ sagte sie, alle nickten Bravo.

Der alte Herr griff wieder zu seiner Zeitung, und auch die Erregung legte sich wieder. Bloß Schnäuzchen schien verunsichert und wollte auf einmal in seinen Rucksack zurück. Möglicherweise ein richtigerer Ort oder zumindest etwas weniger falsch.

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