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Die Spuren kaum sichtbar vergangener Zeit

■ Der amerikanische Minimalist Jack Sal im Museum für Kunst und Gewerbe

Wieviele Besucher aus dem Forum Fotografie gleich kopfschüttelnd wieder herausgehen, möchte man lieber nicht wissen. Die minimalistischen Fotoarbeiten von Jack Sal haben ohne Kenntnis der Hintergründe doch einen eher abweisenden Charakter: einfache Formen und Zeichenreihen in teils bräunlichem schwarz-weiß lassen kaum den Aufwand ahnen, mit dem sie erstellt wurden. Der New Yorker Künstler arbeitet seit 1977 an einem fotografischen Minimalismus, der seinesgleichen sucht. Mit weltweit mühsam aufgetriebenen alten Fotopapieren betreibt er Photo-Graphik ohne Kamera, die schon Mitte des 19. Jahrhunderts etwa von Delacroix und Corot angewendet wurde: „Cliché verre“, bei dem gepreßte Pflanzen, Ornamente oder Zeichnungen auf Glas aufgebracht werden und dann als Negativ für einen fotografischen Kopierprozess dienen.

In wochen- und monatelangen Belichtungszeiten läßt Jack Sal die Sonne seine auf Glas gemalten Graphen auf lichtempfindliches Papier übertragen. Meist ist das kein gewöhnliches Fotopapier, sondern – so der Fachterminus – „Auskopierpapier“. Mit den alten Techniken und Papieren erzielt Sal für seine reduzierten Formen ein Mehrfaches an Grauwerten als für Fotografie heute üblich. Abgesehen von dem beabsichtigten Einfangen von Zeit, zeitigte ein technisch beschleunigter Prozeß auch ein anderes Ergebnis: statt einst 300 Tonabstufungen hat modernes, schnell zu bearbeitendes Papier meist nur noch an die dreißig. Jack Sal ist ein Fotograf, der sich ein Abbildverbot auferlegt hat; seine geometrischen Zeichenreihen erinnern bestenfalls an ein Schriftsystem. Er ist damit ein guter Schüler seiner jüdischen Kindheit und Ausbildung. Als Künstler wurde er in den 70er Jahren beeinflußt von der minimalistischen Malerin Agnes Martin und dem Minimalisten Donald Judd, von Mehrfachtalent John Cassavetes, Theoretiker Rudolf Arnheim und Minimalmusiker Philipp Glass. Schon dieses Spektrum läßt erahnen, daß seine reduzierte Fotografie nur Teil seiner Arbeit ist. Fotografische Papiere bilden oft nur den Kern durchaus materieller, raumgreifender Inszenierungen. Die Rauminstallionen erhalten so einen sich selbst dokumentierenden Zeitfaktor, da das Licht die strengen Arbeiten langsam verändert. Mitunter muß das Photopapier auch vor zuviel Helligkeit geschützt werden: bei einer Arbeit in Israel schützte Sal es durch Begraben unter einem Steinhaufen vor der heißen Sonne Palästinas.

Hajo Schiff Forum Fotografie, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, bis 28. April; Werkstattgespräch mit Dias am 11. April.

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