: Pan Tau auf Martini
Rockriffs zu Soundmöbeln! Combustible Edison, die „Pioniere des modernen Easy Listening“, liefern die Inneneinrichtung für das Kaffeehaus von heute. Aber was heißt hier eigentlich „Easy Listening“? ■ Von Thomas Groß und Thomas Winkler
Bei der Cocktail Nation handelt es sich um eine vergleichsweise junge Gründung. Es war im Jahre 1994, als eine Band namens Combustible Edison aus heiterem Himmel von „Swingern“ zu phantasieren begann – eleganten Bewohnern einer neuartigen Form der urbanen Halbwelt, „die das Bittersüße des Lebens gekostet haben und von Zeit zu Zeit nach einem immer tieferen Zug verlangen“.
Im Rückblick zweifelsfrei ein Dokument der Sezession. Als Beigabe zu einem Zyklus undefinierbarer Kabinettstücke mit opulenten Arrangements hielt es fällige Botschaften bereit: Hab Mut zum Geschmack! Liebe das Leichte! Shake your Cocktailshaker! Wenn du Lust hast, darfst du auch „Easy Listening“ dazu sagen.
Solches traf weltweit auf offene Ohren bei einigen marodierenden Großstadtstämmen, die ohnehin längst an der Zentralgewalt des Rock zu zweifeln begonnen hatten. Der Rest ist bekannt. Knapp zwei Jahre sind vergangen, in denen unglaublich viel Geschütteltes wie auch Gerührtes über Martinis und „unglaublich seltsame Musik“ geschrieben wurde. Die Geschichte der populären Phänomene ist um eine Erfolgsstory reicher, aber auch um eine besonders dubiose Plakette: In rasender Geschwindigkeit hat „Easy Listening“ die Nahrungskette des Verwertungsjournalismus durchlaufen, hat Freund und Feind gefunden, bis das Manifest am Ende auf das Format eines dpa-Features heruntergebracht war: „Sie trinken Cocktails und tragen Anzüge. Sie tanzen in Bars und Clubs zur Musik ihrer Eltern ...“
Treffen einer Geheimgesellschaft
Fast wieder stilvoll ist es da, daß The Millionaire, ideologischer Kopf von Combustible Edison, als soziale Erscheinung weit hinter dem offiziellen „Easy“-Programm zurückbleibt. Zwar trägt er Jackett und Krawatte (mit Nadel!), doch ansonsten erinnert er mehr an den dicklichen Jungen neben dir auf der Schulbank. Kein Mensch würde in einem Berliner Boheme- treff wie dem „Frisör“ Notiz von ihm nehmen, wäre er nicht im Promotion-Auftrag unterwegs: The Millionaire soll das neue Album „Schizophonic!“ unter die Leute bringen. Also mixt er unter den Augen einer Fernsehkamera brav Getränke und Schallplatten.
„Doch, ich mag diese klandestinen Orte, es hat was vom Treffen einer Geheimgesellschaft“, meint er später im Interview. Ohne rot zu werden, philosophiert der Mann vom „more flamboyant way of life“, von Semiotik und Starkulten, ein charmanter Plauderer, der die luxurierende Welt von Combustible Edison mit ein paar flotten Bildern anmoderiert. Daß „Easy Listening“ so schnell zur Ramschware heruntergekommen ist, will ihm kein Problem sein, handelt es sich doch um demokratische Musik per se. „Easy Listening“ ist für The Millionaire zunächst einmal einfach nur das, „was jeden Tag in der Luft liegt“, Fahrstuhlmusik, es gehört zur allgemeinen Einrichtung des Lebens. Der einzige Unterschied: Im Fahrstuhl mußt du dir das Zeug anhören, im Club kannst du es zelebrieren.
Vive le musical Esperanto!
Die Musik als Möbel – diese auf Eric Satie zurückgehende Idee ragt in regelmäßigen Abständen aus dem Redestrom heraus. Die Band ist, wenn sie wie Combustible Edison im Club spielt, keine Rockband, die mit Lautstärke und Show den ganzen Abend dominiert, sondern ein Erzeuger von „environmental music“. Am Tapeteneffekt sollt ihr sie erkennen! Und eine Tapete hat viele Muster. „Easy Listening“, wohlverstanden, wäre also weniger ein Stil als eine Funktion: die Fähigkeit, sich jeden Stil ornamental anzuverwandeln oder einzuverleiben.
Dem Millionär gefällt diese kannibalistische Vorstellung sichtlich, ebenso wie ihm der Brite Mike Flowers gefällt, der den Rockhit „Wonderwall“ von Oasis mit Perücke und Backgroundchor ins Easy-Idiom übertragen hat. „Wir sind zwar nicht unbedingt für diese naheliegende Art von Scherzen, aber haben uns auch mal so was erlaubt, als wir einen Song in Esperanto gemacht haben. Es ist doch so: Auf der einen Seite findet jeder dieses Kunstprodukt zum Lachen, auf der anderen ist es der Versuch einer Universalsprache. Easy Listening ist eine Lingua franca, ein musikalisches Esperanto wie beispielsweise auch Disco. Alles kann ihm zum Opfer fallen.“
Wirklich alles? „Nun ja, ich würde nicht gerade sagen, daß ,Metal Machine Music‘ von Lou Reed Easy Listening ist, ich meine: vier Schallplattenseiten nur Feedbacklärm, das hört sich keiner freiwillig an. Wenn du es allerdings leise drehst, hat es viel vom Summen eines Kühlschranks im Hintergrund.“
Unter dem Pflaster liegt der Geschmack
Statements wie dieses illustrieren den tödlichen Haß, der „Easy Listening“ in der Rockwelt entgegenschlägt, entgegenschlagen muß. Durch Schaffen neuer Kontexte, Zeitachsenmanipulation oder schlichte Mißachtung der Rezeptionsvorgaben („This music should be played LOUD!“) wird Rock 'n' Roll, selbst extremer, in den Händen bastelnder Hörer/ Produzenten zum Hintergrundgeräusch: Wo Aufschrei war, soll Nonchalance werden. Authentizität, Schweiß, Vitalismus sind bloß noch gefallene Götter von gestern.
Und entspricht das nicht tatsächlich bereits der Ästhetik des historischen Easy Listening, jener Zeitspanne von 1958 bis Mitte der Sechziger, als sich, parallel zum Rock (und später scheinbar von ihm besiegt), eine Art Mood-Music für Erwachsene etablierte? Um ins Radio oder ins Fernsehen zu kommen, mußten Komponisten wie Ray Conniff, Herp Alpert oder auch Burt Bacharach einerseits Formatvorgaben an „Stimmungsmusik“ erfüllen, andererseits dem Konkurrenten durch immer gewagtere Anarchien des Arrangements übertrumpfen. Auch wenn das Format seine unbestrittenen Genies hervorgebracht hat – aus diesem Zwang, nicht aus purer Laune oder Grandeur, ist der ganze Wahnsinn aus Samba, Säuseln und „gefährlichen“ Akkorden zu erklären. Formatpop als „Easy Listening“ war sozusagen hocharrangierter Trash aus Systemzwang – eine Avantgarde als Betriebsunfall.
Das große Popkulturfressen
Doch dies ist 1996, nicht 1958. Als „Pioneers of Modern Easy Listening“ (Pressewerbung) beziehen sich Combustible Edison auf den historischen Easy-Hintergrund, zehren von seinem Überschuß an Form – allerdings um den Preis einer gewissen Kunsthandwerklichkeit. Nicht daß all die digitalen Affenschreie, Waschmaschinensounds, Weill-Fragmente, tschechischen Zeichentrickeinlagen, Ausflüge nach „Lonelyville“, Barbershopgesänge und Bouzouki- Ornamente keinen Eindruck machten. Verglichen mit einem durchschnittlichen Rockalbum ist „Schizophonic!“ ein Wunderwerk an Technik, Spielvermögen und Klangfarbenreichtum, ja, es strotzt geradezu vor interessanten Parallelführungen, dramatischen Steigerungen, glamourösen Auflösungen und Dominantseptnonschlußakkorden. Bloß ist das Spiel nicht darauf aus, Sounds zu schaffen, sondern nachzuempfinden. Die akustische Minibar: Die gesamte Popgeschichte ist Archiv geworden, Combustible Edison verhalten sich dazu im Sinne der Cocktail Nation. Und das heißt: oral, geschmackvoll, rekonstruktiv.
Solcher Hobby-Avantgardismus läßt sich weder kompositorisch noch mit Formatzwängen erklären. „Schizophonic!“ ist die nostalgische Beschwörung einer Kindheit vor dem Fernseher – großes Popkulturfressen. Man ist allein mit den Apparaten, die Drinks sind frei, während die progressiven Eltern – der Millionär erzählt die kleine Anekdote mit Selbstironie – zum Cream-Konzert gegangen sind.
Sittenkomödie an einem exotischen Ort
Deshalb ist „Easy Listening“ im Grunde auch keine Rückkehr zu den Werten der Vorgänger-Generation, wie das Klischee es will, sondern ewig libertäre Revolte gegen den Antiautoritarismus. Was wählen wir heute – Ed Sullivan, American Bandstand oder was Europäisches? Nouvelle Vague? Schwarze Serie? Pan Tau auf Martini? Lolek und Bolek on acid? Chinesische Oper? Bloß eine vage thematische Grundstimmung hält das Spiel mit dem populären Vokabular noch zusammen, ein Sinn für den „filmischen“ Effekt, der dem Quintett aus Boston unter anderem einen Job für die Musik von „Four Rooms“ (das neue, allerdings gefloppte Kultding aus dem Swinger-Imperium von Quentin Tarantino) eingetragen hat.
Und nur im Kosmos solcher selbstbezüglichen Differenzen – sozusagen als fortlaufendes Fan- Gespräch – ist ein Werk wie „Schizophonic!“ noch ästhetisch diskutierbar. Sagen wir mal so: Wenn die erste CD, „I, Swinger“, etwas Tiger-von-Eschnapur-haftes hatte, ist die zweite der Soundtrack zu einem französischen Beziehungsdrama – eine Idee, die dem Millionär sichtlich Vergnügen bereitet, selbst wenn er auch hierüber seine ganz eigenen Ansichten hat: „Ich würde sagen, die erste war eine Sittenkomödie, die an einem exotischen Ort spielt, die zweite ist ein psychologisches Horrormovie oder ein Science-fiction-Drama.“
Im Kaffeehaus des Grauens
Das ist lustig – aber wo, bitte, geht's noch zum Sinn? Und wo liegt eigentlich das Land Geschichte? Es ist der Triumph des Geschmacks über seine avantgardistischen Möglichkeiten, der „Easy Listening“-Bands wie Combustible Edi
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son oder Pizzicato Five (die fernöstlich-futuristische Variante der Museumspflege am Weltpoperbe) neben der Antireaktion der Rockisten auch den Haß der strategischen Poplinken eingetragen hat – der heilige Diedrich Diederichsen hat die Gemeinde gar vor einer „Pest“ des Leichten gewarnt. Eine Musik, die weder von den Kämpfen des Afroamerikaners erzählt (wie HipHop), noch den fortschrittlichen Geist aus der Plattenkiste beschwört (wie die Speerspitze der elektronischen Musik), die nicht politisch korrekt ist, einfach nur bunt sein und mit sich selber spielen will, hat offenbar wenig Existenzberechtigung auf der aktuellen Palette. Man hält sie für unreif und onanistisch, womöglich jugendgefährdend.
Gerade deshalb ist es natürlich „Easy Listening“, das eine Utopie des Populären noch einmal in Reinkultur verkörpert (ewig aufbleiben, immer spielen, keine Verantwortung, reichlich Popcorn), und der Haß der Strategen wäre gerechter, würde er seine eigene Quelle reflektieren. „Sittenkomödie, die an einem exotischen Ort spielt“ – läßt sich eine hübschere Metapher auf den Zitat-Pop der Achtziger denken? Die Hohe Zeit des Stils? Die große Revolte des glamourösen Geschmacks?
Aber gerade dieser Spiegel ist unerträglich geworden: Popmusik als Tapetenlieferant für das universale Kaffeehaus antibürgerlicher Bürgerlichkeit – großer, kitzelnder, mit Bannfluch zu belegender Horror vacui.
Combustible Edison: „Schizophonic“ (Bungalow/Efa)
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