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Taiwan will auf eigenen Füßen stehen

Für viele junge Taiwanesen ist die Unabhängigkeit ihres Landes eine ganz normale Sache. Andere werfen der Regierung vor, die Bevölkerung nicht über den Ernst der Lage aufgeklärt zu haben  ■ Aus Taipeh Georg Blume

Takashi Kamei, Reisebüro- Angestellter in Tokio, hält gewöhnlich nichts vom Service US-amerikanischer Airlines. Doch nach Taipeh wollte er am Donnerstag partout keine andere Fluglinie buchen. „Wenn die Chinesen schießen, dann nicht auf die Amerikaner“, versicherte der Manager.

Lin Kao Kei und Dai Thu Gen aber lachen über so viel ausländische Ängstlichkeit. Die beiden 17jährigen Oberschüler warten vor dem Hauptbahnhof von Taipeh auf den Bus, der sie nach einem anstrengenden Schultag in einen Außenbezirk der taiwanesischen Hauptstadt nach Hause bringen soll. „Unser Lehrer hat uns gesagt, daß Chinesen nicht auf Chinesen schießen“, sagt Lin. Offenbar hat der Schulmeister damit dem chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin, von dem das Zitat stammt, aufs Wort geglaubt. Aber denken so auch die Schüler? „Unser Land ist reich“, meint Dai. „Deshalb haben wir keine Angst.“

Wer sich entlang der Nanking Road im Herzen Taipehs umschaut, möchte Dai aufs Wort glauben. Ist es überhaupt denkbar, daß diese ganze Herrlichkeit zwischen Mitsukoshi-Kaufhaus und Nudelsuppenbars von ein paar chinesischen Raketen weggefegt werden könnte? „Ich mache mir durchaus Sorgen“, meint Kevin Tsou, 31, Angestellter der OCB-Bank in Taipeh. Den ganzen Tag lang wäre in der Bank die Hölle los gewesen, da vor allem ausländische Investoren um ihre Anlagen in Taiwan besorgt seien. Nun will Tsou den Abend mit Freunden in einem chinesischen Restaurant verbringen. „Wir werden heute sicher sehr ernsthaft über die politische Lage reden“, sagt der Bankangestellte, aber da fällt ihm auch schon seine Freundin ins Wort. Von der Politik und den Machthabern in China wolle sie heute nichts mehr hören, und die Begleiter stimmen ihr zu. Doch Tsou bleibt dabei: „Jetzt geht es um die Unabhängigkeit unseres Landes. Wir müssen beweisen, daß wir nicht mehr vom Ausland abhängig sind.“

Zur abendlichen Stunde sind in Taipeh vor allem junge Leute unterwegs. Einig sind sich die meisten, daß nicht ihre Altersgenossen, sondern die älteren Taiwanesen diese Tage am intensivsten erleben.

Einige haben bereits ihr Flugticket in der Tasche

„Meine Eltern glauben nicht an die Unabhängigkeit, doch für uns ist sie längst normal“, sagt Shi Chin Ju, ein 22jähriger Student der Tatung-Universität. Doch ausgerechnet Shi verteilt vor dem Bahnhof Wahlkampf-Flugblätter des amtierenden Präsidenten Lee Teng Hui, dessen regierenden Kuomintang- Partei sich ausdrücklich nicht zur Unabhängigkeit des Landes bekennt. Oder glaubt Shi etwa das gleiche, was die Pekinger Machthaber denken, die Präsident Lee das Streben nach Souveränität zum Vorwurf gemacht haben?

Aber es gibt auch junge Taiwanesen, denen die Kriegsmanöver rund um ihre Insel bitterernst erscheinen. Die 31jährige Wang Jing Rong ist mit einem Iren verheiratet. Gemeinsam planen sie, noch vor den Wahlen Taiwan zu verlassen — und zwar aus politischen Gründen. „Die Wahrheit wollen sich die Leute hier nicht eingestehen. Nicht einmal mit meiner Familie kann ich darüber reden“, berichtet Wang.

Sie macht Regierung und Medien dafür verantwortlich, daß der Ernst der Lage nicht zu den normalen Bürgern durchdringt. „Wir wissen gerade aus dem Ausland, wie gefährlich die chinesische Politik heute einzuschätzen ist. Die Taiwanesen sollten sich eingestehen, daß es kein Mittel gibt, gegen China zu kämpfen“, sagt Wang.

Allerdings kann so nur reden, wer das Flugticket ins Ausland längst in der Tasche hat. Ob auch Wang eine amerikanische Fluglinie wählt?

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