: Eine Volksrepublik voller Handlungsreisender
■ China ist auf dem besten Weg zur viertgrößten Exportnation der Welt. Die EU rächt sich mit Zöllen und gibt sich alle Mühe, selbst mehr an Chinesen zu verkaufen
Noch streiten die Fachleute, ob Japan oder China in Zukunft das wirtschaftlich bedeutendste Land Asiens sein wird. Daß China jedoch für die europäische Wirtschaft eine ganz entscheidende Rolle spielen wird, ist unbestritten. Schon seit geraumer Zeit wächst die chinesische Wirtschaft jedes Jahr um rund zehn Prozent, das Exportvolumen sogar noch stärker (1994: 18 Prozent). Hält diese Dynamik an, ist China im Jahr 2000 die viertgrößte Exportnation der Welt.
Schon heute wird die Hälfte des Spielzeugs sowie zwei Drittel aller Schuhe, die auf dieser Welt getragen werden, in China produziert. Doch auch bei elektrischen Geräten nimmt der chinesische Produktionsanteil stetig zu. Für die Europäische Union ist China der viertgrößte Handelspartner – nach den USA, der Schweiz und Japan. Großbritannien und die Bundesrepublik haben die größten Interessen an China. Die Briten sind vor den Deutschen die wichtigsten Investoren in China, die Deutschen sind der größte europäische Handelspartner. Die Franzosen rangieren mit 1,9 Prozent Marktanteil in China noch unter „ferner liefen“.
Im Jahr 1994 wurden Waren im Wert von rund 45 Milliarden Mark in die EU eingeführt. Die Exporte erreichten dagegen kaum mehr als die Hälfte dieses Werts. Im Handel mit China besteht ein enormes Handelsbilanzdefizit. Schon lange wird darüber diskutiert, ob sich China diese Handelserfolge nicht durch unfaire Praktiken, vor allem durch subventionierte Exportpreise, erkämpft. Die EU verhängt deshalb in zahlreichen Bereichen Anti-Dumping-Zölle. Nach chinesischen Angaben sind derzeit 59 Produkte von derartigen Strafzöllen betroffen oder bedroht. Erst vor wenigen Tagen verhängte der EU-Ministerrat zum Beispiel einen Zoll in Höhe von 58,6 Prozent auf chinesisches Rohrleitungszubehör.
Diese konfrontative Politik ist seit jeher auch in der EU umstritten. Während die eher protektionistisch orientierten Mittelmeerländer die Anti-Dumping-Politik der Kommission stützen, stehen Deutschland und Großbritannien stärker für unbeschränkten Freihandel. In letzter Zeit wurden derartige Maßnahmen eher abgebaut, da sich mit dem Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands das Lager der Freihändler vergrößert hat. Außerdem lassen immer mehr europäische Firmen in China produzieren und fürchten deshalb, selbst von Einfuhrbeschränkungen betroffen zu werden.
Neben dem Handelsdefizit wird auch der geringe Anteil europäischer Direktinvestitionen in China von der EU als Schwachstelle angesehen. 1994 stammten nur vier Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen in China aus den Mitgliedstaaten der EU. Den Markt teilen im wesentlichen die USA und vor allem die asiatischen Nachbarländer unter sich auf.
Andere Chinakenner warnen allerdings vor einer scharfen Zuordnung der Auslandsinvestitionen zu bestimmten Nationen. „Der Großteil der Gelder stammt von Auslandschinesen, die in vielen asiatischen Staaten und den USA eine starke wirtschaftliche Position erreicht haben und ihre Geschäfte über Banken in Hongkong abwickeln“, erläutert ein Experte der EU-Kommission.
Dieses weltweite Netz von Chinesen im Ausland – weltweit geschätzte rund 52 Millionen Menschen – wird deshalb auch als einer der wichtigsten Trümpfe Chinas im Kampf um die Weltwirtschaft angesehen. Und auch ihre Macht in Sachen Nachfrage ist beeindruckend. Als weltweit größter Markt für Spitzentechnologie kann China den ökonomisch überlegenen Industrienationen inzwischen nahezu die Preise diktieren. Industriekonsortien, die in China Großprojekte umsetzen wollen, müssen sich daher immer häufiger von ihren heimischen Regierungen finanziell unterstützen lassen.
Die Chancen der deutschen Anbieter sind dabei nicht schlecht. Deutschland ist weder durch eine koloniale Vergangenheit noch durch allzu enge Kontakte zu Taiwan „belastet“. Große deutsche Firmen wie Volkswagen und Siemens produzieren längst auch in China. VW dominiert den chinesischen Automarkt mit einem Marktanteil von fast 50 Prozent.
Ein von Chinesen unterderhand häufig geäußerter Vorteil deutscher Industrie wird hierzulande allerdings nicht so gerne gehört: Deutsche Technologie sei noch nicht so weit fortgeschritten wie die japanische und amerikanische, heißt es. Von Produkten „made in Germany“ können die Chinesen deshalb leichter lernen – und diese anschließend kopieren. Christian Rath, Brüssel
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