: Mit den Ajatollahs durchs Internet
Den Koran gibt's längst auf CD-ROM. Und aus dem Computer ertönen die Stimmen verstorbener Prediger. Irans Klerus nutzt die moderne Technologie, solange sie keine unmoralischen Effekte hat ■ Aus Qom Thomas Dreger
„J-I-H-A-D“ – Nach dem Paßwort „Heiliger Krieg“ erscheint auf dem Bildschirm ein Demoprogramm: Vierfarbig animiert wechseln sich Bilder der Moscheen in Mekka, Medina, Kerbala und Nadschaf ab. „Wir haben Postkarten eingescannt“, erläutert Ahmad. Eigentlich sei auch ein Bild des verstorbenen Ajatollah Ruhollah Chomeini im Angebot. Doch „das muß noch graphisch bearbeitet werden“.
Der 32jährige arbeitet im „Zentrum für islamische Studien und Forschung der Hawseh-Schule Qom“. Auf etwa 25 Quadratmetern stehen in einem Raum sechs Rechner, Bildschirme und Tastaturen von IBM, Drucker von Epson. Ahmad trägt ein kariertes Oberhemd, schwarze Hose und Turnschuhe, seine Kunden mehrheitlich Turban und graue Dschalabija.
„Die meisten, die hierherkommen, sind Theologen“, sagt Ahmad. An einem Bildschirm sitzen zwei Mullahs und brüten über arabischen Texten. „Wir forschen zum Thema Frauenrechte im Koran“, erklärt einer. In wenigen Sekunden spuckt der Computer entsprechende Koranstellen aus, dazu eine lange Literaturliste. Nach ein paar Tastendrücken erscheint auf Ahmads Bildschirm das Gesicht eines Mittfünfzigers, darunter läuft ein Text von rechts nach links und ein animiertes VU-Meter schlägt aus. Aus dem Lautsprecher erklingen kratzend und fistelnd gesungene Koransuren. „Das ist Mustafa Ismail“, erklärt Ahmad. Der Koranrezitator sei vor 16 Jahren in Kairo gestorben. Zum Glück habe er zuvor seine Stimme auf Tonband hinterlassen. Mit Hilfe des Computers könne nun jede beliebige Koranpassage von Mustafa Ismail gelesen werden – bis in alle Ewigkeit. Den gewünschten Text kann man per Maus anklicken, und wer Informationen über den Rezitator haben will, bekommt auf dem gleichen Wege dessen Kurzbiographie.
„Das Programm haben Leute in Teheran geschrieben. Wir verkaufen es mittlerweile nach Saudi- Arabien und Ägypten“, berichtet Ahmad. „Studenten können damit lernen, den Koran gut zu rezitieren. Jeder kann sich sein eigenes Vorbild aussuchen.“ Insgesamt stehen 15 Rezitatoren der heiligen Schrift zur Auswahl. An der Erweiterung wird gerade gearbeitet.
Vor dem Eingang zur Faisieh, sitzt ein Revolutionswächter. In den Innenhöfen der wichtigsten theologischen Schule Irans achten Militärs darauf, daß kein Ungebetener den Hort der Gelehrsamkeit stört. In den Gängen schlendern Mullahs und diskutieren über die rechte Auslegung des Islam. Durch ein Fenster sind Turbanträger zu sehen, die an Bildschirmen arbeiten. Bereits 1963 probten hier Kleriker den Aufstand gegen den Schah. Der Monarch schickte Soldaten und den berüchtigten Geheimdienst Savak. Ihre Mitglieder schossen die aufmüpfigen Mullahs von den Balkons der Schule. 16 Jahre später waren dann die Karten anders verteilt. 1979 übernahmen die Mullahs im Iran die Macht, der Schah starb kurz darauf im ägyptischen Exil.
Großajatollah Nasser Mokarem Schirasi empfängt seine Gäste vor einem großen Bücherregal. An der Wand hängt ein Bild Chomeinis: Vor einem glutroten Sonnenauf- oder -untergang reckt der iranische Revolutionsführer visionär die rechte Hand gen Himmel. Darunter tickt eine Wanduhr, deren Design aus dem Schwarzwald stammen könnte.
„Computer sind Teil des menschlichen Lebens“, sagt der 70jährige Schirasi. Auf dem Kopf trägt er einen weißen Turban und eine sehr dicke Brille. „Wir verwenden Computer, weil wir damit schnell und effektiv recherchieren können.“ Anders als für Satellitenfernsehen gäbe es für Informatik in der Islamischen Republik keinerlei Einschränkungen.
„Wir nutzen moderne Technologie, solange sie keine unmoralischen Effekte hat“, erklärt der Vertreter des höchsten Klerus Irans. „Mit Computern hatten wir bisher keine Probleme.“ Grundsätzlich müsse „das Primat der Religion“ in der Gesellschaft bestehen bleiben. Schirasi ist einer der sieben, von der Staatsführung anerkannten Großajatollahs im Iran. Dank beinahe lebenslanger Studien religiöser Quellen darf er diese interpretieren und für das alltägliche Leben der schiitischen Muslime kompatibel machen. Das hat auch Folgen für den Umgang mit moderner Technik: „In unserem Auftrag haben Techniker in Teheran ein Computerspiel für Kinder entwickelt“, erklärt er. Darin werde den Zöglingen spielerisch „die Schönheit des Islam“ beigebracht – Muhammad und Hussein als iranische Alternativen zu Mario.
Großajatollah Hossein Ali Montaseri hält es lieber mit der Klassik. Rund tausend Studenten unterrichtet der 74jährige nach eigenen Angaben derzeit in seiner Moschee. Seine Spezialität sind Philosophie und die Grundlagen islamischer Jurisprudenz. Daran hindert den höchsten 1,60 Meter großen Kleriker mit dem grauen Bart auch nicht der Umstand, daß er eigentlich unter Hausarrest steht. „Ich sitze nicht im Gefängnis“, sagt er mit listigem Gesichtsausdruck, auf einem Teppich hockend. Jeden Freitag kommen Hunderte von Anhänger aus seiner Heimatstadt Isfahan mit Bussen die gut 200 Kilometer nach Qom, um der Predigt ihres Vorbildes zu lauschen. Sein vierbändiges Buch über „velajat-e faqih“, die von Chomeini entwickelte Ideologie, wonach ein Kleriker einen islamischen Staat leiten darf, gehört an der Universität von Teheran zu den Standardwerken. Eigentlich hätte Montaseri Nachfolger des verstorbenen iranischen Revolutionsführers werden sollen. Doch wegen seiner Kritik an Menschenrechtsverletzungen und seinem Festhalten an den Idealen der Islamischen Revolution wurde er degradiert. Nachfolger Chomeinis wurde der uncharismatische, aber willfährigere Ali Chamenei.
Montaseri macht seinem Ruf als Hardliner alle Ehre. Minutenlang schimpft er über Salman Rushdie und die angebliche Doppelmoral des Westens: „In Palästina und Bosnien werden Tausende Muslime massakriert. Und Sie machen einen Aufstand um einen Schriftsteller, der nachweislich den Islam beleidigt hat.“
Zu innenpolitischen Fragen will sich Montaseri jedoch nicht äußern. Nur ein versteckter Vorwurf gegen die Staatsführung ist ihm zu entlocken: „Selbst Muhammad hat sich in politischen Fragen mit seinen Anhängern beraten.“ Ob er gerne von iranischen Politikern zu Rate gezogen werden wolle, mag er nicht sagen. Und auch auf die Frage, ob er sich noch vorstellen könne, die späte Nachfolge Chomeinis anzutreten, lautet die Antwort: „Dazu kann ich nichts sagen.“ Einer von Montaseris Vertrauten weist derweil flüsternd darauf hin, daß die Zahl der Zuhörer während des Gesprächs zugenommen habe: „Hier sind zu viele Leute, die hier nicht hingehören.“ – Bei der Überwachung ihrer Kritiker kommt die iranische Führung noch weitgehend ohne Elektronik aus.
Ali Kurani (50) leitet das Computerzentrum der Golpeygani-Stiftung von Qom. Mit weißem Turban erläutert er die Ziele des bekanntesten Computerzentrums der heiligen Stadt. „Wir haben Ajatollah Golpeygani die Anwendung von Computern vorgeschlagen. Er war damals schon über 100, aber sofort begeistert.“ Die seit sieben Jahren bestehende Stiftung des mittlerweile verstorbenen Klerikers ist so etwas wie die seriöse Variante des Hawseh-Zentrums. Vor seiner Tätigkeit als Computerchef hat Kurani als Theologe in ganz normalen Bibliotheken gearbeitet. Über die Bildschirme des Instituts flitzen keine bunten Bilder, nur religiöse Texte. Dafür hat die Institution ein gesamtes Stockwerk für sich. Die 40 Terminals sind mit Komponenten aus Europa, Japan und den USA bestückt. „Die Rechner arbeiten alle mit Windows“, erklärt Kurani. In seinen Regalen stehen englischsprachige Bücher über Soft- und Hardware. „Wir veröffentlichen regelmäßig CD-ROMs über islamische Jurisprudenz, Erläuterungen Muhammads und deren Interpretationen.“ In der Hand hält der Kleriker eine kleine silberne Scheibe: „Darauf sind 1.240 Bücher gespeichert.“ Den Koran gebe es schon lange auf CD.
Rund 40 Wissenschaftler sind hier beschäftigt, ferner 30 Ingenieure und fast 80 freie Techniker, die neue Programme entwickeln. „Wir haben in den iranischen Tageszeitungen Inserate veröffentlicht: Wir suche Techniker für diese und jene Aufgabe“, berichtet Kurani. „Der Andrang war enorm.“ Theologen reagierten dagegen anfangs zurückhaltend. „Einige haben gefragt: Wollt ihr etwa Computer-Ajatollas werden?“ Doch als die Gottesgläubigen gesehen hätten, wie schnell der Zugriff auf religiöse Quellen funktioniere, hätten sie ihre Ressentiments abgelegt. „Heute hat in Qom kein Gelehrter mehr etwas gegen Computer“, meint Kurani.
„Computerspiele sind auch im Iran zu kaufen“, erklärt er. „Meine Kinder haben etliche davon. Aber wenn sie mir Fragen dazu stellen, kann ich nicht helfen. Ich habe für so etwas keine Zeit.“ Selbstverständlich werde auch in Qom heftig diskutiert, was legal sei und was nicht. Umstritten sei vor allem der Zugang zum Internet. „Spätestens in sechs Monaten sind die Erkenntnisse unseres Instituts weltweit verfügbar“, meint Kurani lachend. Leider kenne er die zukünftige Internet-Adresse seines Instituts noch nicht. Sonst könnten die deutschen Leser sich bald selbst ein Bild machen. Iranische Studenten würden jedoch auch in Zukunft nur begrenzten Zugriff auf das Netz haben. „Hier im Institut braucht man eine Genehmigung für ein konkretes Forschungsvorhaben.“ Und wer privat im Netz surfen wolle, benötige „eine Lizenz des Postministeriums in Teheran.“
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