piwik no script img

Atommüll künftig per Hubschrauber

Niedersächsischer Innenminister hält Proteste für unerträglich. Die Ursache will er aber nicht absetteln. Technokratische Lösung. Heftiger Streit im Bundestag über Atommülltransport  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) — Unbelehrbar blieb gestern der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD). Am Tag nach den Protesten gegen den zweiten Castor- Transport, an denen sich im Wendland allein am Mittwoch 8.000 Atomgegner beteiligten, bezeichnete Glogowski die Proteste als nicht zu ertragen. Denn die niedersächsische Landesregierung will nach diesem „größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik“ weiter Atomtransporte nach Gorleben schützen.

Der einzige Hoffnungsschimmer: Möglicherweise sei es nicht nötig, den nächsten Castor-Transport aus dem bayerischen Grundremmingen wie geplant noch in diesem Herbst nach Gorleben zu bringen. Unter Verweis auf einen entsprechenden Beschluß der Innenministerkonferenz verlangte der SPD, jetzt neue Transportbehälter zu entwickeln, mit denen Atommüll künftig per Hubschrauber in das Gorlebener Zwischenlager eingeflogen werden könnte.

Nach Glogowskis Angaben wurden für den zweiten Transport bundesweit insgesamt 19.000 Polizisten und Grenzschützer eingesetzt, am Mittwoch im Wendland allein 9.000. Während aller fünf Protesttage hat die Polizei insgesamt 328 Atomgegner nach dem niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz in Gewahrsam genommen und zudem weitere 164 wegen des Verdachts auf strafbarer Handlungen vorläufig festgenommen. Alle Atomgegner befinden sich wieder auf freiem Fuß.

Bei den Einsätzen haben 27 Polizeibeamte Blessuren erlitten. Ernsthaft verletzt wurde aber kein Polizist. Der Innenminister sprach dennoch wiederum von sehr gefährlichen Situationen, in die „schwarze Blocks von 1.000 bis 1.500 angereisten Berufsdemonstraten und Gewalttätern“ die Polizei gebracht hätten.

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Rebecca Harms verwahrte sich gestern gegen diese Diffamierung des wendländischen Widerstandes durch die Landesregierung. „Glogowski stempelt die Kindern der Region, die sich zum Demonstrieren einen schwarzen Pullover mit Kapuze überziehen, zu Chaoten“, sagte Harms. Einzelereignisse am Rande der Proteste würden nunmehr aufgebauscht und ungeheuerlich übertrieben, um den breiten und friedlichen Protest als Aktion von Chaoten zu diffamieren.

Die Vorsitzende der Bündnisgrünen-Fraktion, Andrea Hoops, sprach gestern der Bevölkerung des Wendlands Hochachtung für ihren Mut und ihre Konsequenz aus. Der Innenminister habe mit dem Polizeieinsatz der eigenen Bevölkerung den Krieg erklärt. Dies sei ein schlimmer Rückfall in die achtziger Jahre. Glogowskis Vorschläge zum Lufttransport von abgebrannten Brennelementen seien unausgegorene Fantasien.

Im Bundestag nannte der CDU- Abgeordnete Rudolf Seiters es „unverantwortlich“, wenn Abgeordnete der Bündnisgrünen offen zu Rechtsbruch und Gewalt aufriefen. Die SPD-Abgeordnete Monika Ganseforth appellierte an die Bundesregierung, mit der „Arroganz der Macht“ aufzuhören und politische Gespräche über ein umfassendes Entsorgungskonzept für den Atommüll aufzunehmen. Das gleiche hatte schon Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder gefordert. Er will die Energiekonsensgespräche Mit Umweltministerin Angela Merkel wieder aufleben lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen