: In Berlin kommen die StudentInnen in die Puschen. Mit Studiengebühren und massiven Kürzungen treibt der Senat sie täglich auf die Straße. Jetzt werden die Vorlesungen vorm Rathaus und in der U-Bahn gehalten, denn den drei Universitäten gehen die Bücher und die Tutoren aus. Mit dem Schritt aus dem Elfenbeinturm hat die junge Studentenbewegung ein neues Thema: den Sozialabbau. Bei „Montagsdemos“ wollen sich die StudentInnen mit Gewerkschaftern und sozial Bewegten verbrüdern. Wird der Protest bundeseit ausstrahlen? Von Christian Füller
„Wir müssen in die Tagesschau“
Katharin denkt sogar schon an die nächste Generation: „Ich bin auf der Straße, weil ich eine kleine Tochter habe. Und ich weiß genau, daß ich ihr die 1.000 Mark Studiengebühren niemals werde bezahlen können!“ Katharin ist empört. Und nervös. Eben ist sie zur Veranstalterin einer dieser Spontandemos avanciert, mit der die Studierenden seit Wochenbeginn die Berliner City überziehen: Gib uns unsere tägliche Verkehrsblockade. 300 KommilitonInnen begleiten die Studentin von der Humboldt- Universität zum Alexanderplatz.
Eigentlich studiert die 29jährige an der Humboldt-Uni Germanistik. So gut es eben noch geht. Wie in vielen anderen Fakultäten auch ist das Studium der Germanistik schwer geworden: Zunächst werden aus Geldmangel keine neuen Bücher mehr in die Bibliotheken gestellt. Dann schrumpfen die Öffnungszeiten auf das Niveau einer Dorfbücherei, weil die Uni die studentischen Hilfskräfte nicht mehr bezahlen kann. Schließlich fehlen die Tutoren in der Lehre. Berlin hat, getrieben von einem 5-Milliarden-Defizit, seinen Hochschulen den Geldhahn abgedreht.
Zwar nimmt sich die Sparsumme von rund 70 Millionen Mark für den aktuellen Haushalt der Freien Universität mickrig aus. Sie hat ein Jahresbudget von 960 Millionen Mark. Aber dieses Geld ist festgezurrt: Es wird für unkündbare Beamte ausgegeben oder ist vertraglich gebunden. Also werden zuerst die Tutoren gefeuert, der Nachwuchs muß bluten. Und die Bibliotheksetats sind durchgehend um 30 bis 50 Prozent rasiert worden, berichtet FU-Haushaltsreferent Frank Rosendahl.
Angestachelt vom Rasenmäher, mit dem der Senat nicht nur die Unis traktiert, antworten die StudentInnen mit einer Taktik der Nadelstiche. Überall in der Stadt hören sie ihre Professoren bei öffentlichen Vorlesungen: Uni auf der Straße, auf dem Bahnhof, in der U-Bahn. Und immer wieder gibt es Demos und Straßenblockaden.
„Die Leute sind unheimlich motiviert und schwer zu koordinieren“, meint Katharin. Das ist das Problem dieser Studentenbewegung: Sie weiß noch nicht, wogegen sie eigentlich genau sein soll, und sie artikuliert es kaum. „Gegen Bildungsklau und Sozialabbau“, heißt die allgegenwärtige Überschrift, die im Detail keiner recht buchstabieren kann. Seit vier Wochen liegen die Sparpläne auf dem Tisch: 200 Millionen weniger für 1996, Einführung einer Semestergebühr, Schließung von Fachbereichen. Die 115.000 Studienplätze sollen auf 85.000 zusammengestrichen werden.
Aber bislang hat keiner der 145.000 Studierenden (so viele sind es wegen normaler „Überlast“) dem schwarz-roten Senat den Fehdehandschuh hingeworfen. Es gibt zwar eine Resolution der Humboldt-Uni, die die Kürzungen alle irgendwie nicht haben will. Überbracht hat sie noch niemand. Aber vielleicht geschieht das ja bei Gesprächen, die der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und Wissenschaftssenator Peter Radunski (beide CDU) den Studierenden inzwischen fest zugesagt haben. FU-Präsident Johann W. Gerlach, der die Proteste begrüßt, hat einen „Runden Tisch“ von Studis, Profs und Vertretern des Senats angeregt.
Die StudentInnen sind genervt vom tristen Uni-Alltag. „Die Lehre bei uns in der Kunstgeschichte steht eh still, da ist es auch egal, ob wir auf die Straße gehen“, sagt Matthias, der eigentlich gern promoviert hätte. Doch der Doktorvater winkte ab: „Deine Stelle ist im Haushaltsloch verschwunden.“ Richtig provoziert fühlen sich viele Studis aber durch die „Immatrikulationsgebühr“. 100 Mark werden die Berlins Unis künftig den Studis zusätzlich zum üblichen Semesterbeitrag (rund 50 Mark) aus der Tasche ziehen. Und noch lieber würde Radunski 1.000 Mark kassieren. Die 100 Mark werden nicht etwa den löchrigen Etat der Unis stopfen – die Berliner Finanzsenatorin schreibt sich den Betrag gut.
Aber die Studiengebühr ist nur der Stein des Anstoßes. „Die Streichungen im ganzen Sozialbereich sind das eigentliche Thema“, sagt ein Sprecher bei der Konferenz der Berliner StudentenvertreterInnen. Viele Studis beginnen, sich wieder als gesamtgesellschaftliche Akteure zu begreifen. Seit zwei Wochen sprießen an den Spree-Hochschulen Aktionsgruppen, die Häfte von ihnen hat nur ein Thema: Sozialabbau. Bereits seit einem halben Jahr ist an der Humboldt-Uni ein „Bündnis gegen Sozialabbau und Ausgrenzung“ aktiv. Und ab kommenden Woche plant eine Initiative von Professoren und Studenten eine Montagsdemo. Allwöchentlich soll dort der Abbau des Sozialstaats zum Skandal erklärt werden.
Uni-Demontage und Sozialabbau – dagegen sind sie alle. Doch die Machtverhältnisse an den Unis zu hinterfragen bleibt den Aktivisten und Funktionären überlassen. Die bleiben deutlich auf Distanz zu den Professoren. „Wir wehren jetzt die Sparzumutungen gemeinsam ab“, höhnt Jochen Geppert vom AStA der Freien Universität, „und dann kürzen uns die Professoren die Tutorien weg.“ Die Reformunfähigkeit der Unis, so Geppert, hänge an der garantierten professoralen Mehrheit in den Selbtsverwaltungsgremien. „Das muß für uns immer das Thema bleiben“, meint der Psychologiestudent.
Katharin und viele KommilitonInnen machen sich derweil Sorgen, wie lange die Protestbereitschaft halten wird. Obwohl bundesweit Pläne diskutiert werden, das schmale Bafög zu verzinsen, wird keineswegs in allen Instituten der Streikaufruf befolgt. Und es gebe auch genug Studenten, die die geplante Studiengebühr bezahlen könnten, meint Katharin. Die gehen brav in die Seminare. „Wenn wir jetzt nicht bald in die ,Tagesschau‘ kommen“, sagt die Germanistikstudentin, „dann verpufft das alles.“
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