piwik no script img

Im Land der Wasserorgeln

■ Blumig, holzig, harzig: Sensorama, ein von KünstlerInnen eingerichteter „Garten der Sinne“, auf der Halbinsel Alt-Stralau, der allerdings noch etwas Zeit braucht

Ein kleiner Holzsteg lädt dazu ein, die nackten Füße im kalten Wasser baumeln zu lassen. Die Spree strömt glitzernd vorüber, Vögel zwitschern, und auf dem gegenüberliegenden Flußufer stehen keine Betonbauten, sondern nur die hellgrünen Frühlingsbäume vom Treptower Park. Direkt am Spreeufer in Alt-Stralau hat der Künstler Michael Stalherm vor fünf Jahren ein idyllisches Grundstück erworben. Der Kauf hatte jedoch einen Haken: das Atelierhaus fehlte. So entstand die Idee, den Garten selbst als Arbeitsraum zu nutzen und Kunst zu produzieren, die die Natur und ihr Wachstum, aber auch ihre Vergänglichkeit mit einbezieht.

Bei der aktuellen Ausstellung „Sensorama“ hat Stalherm gemeinsam mit den KünstlerInnen Niko Tenten und Helga Franz den „Garten der Künste“ in einen „Garten der Sinne“ verwandelt. Die menschlichen Sinnesorgane werden auf über 30 Stationen angesprochen, wobei der Besucher auch vor unangenehmen Erfahrungen nicht bewahrt wird. Mit Grundstoffen, die unter anderem in der Parfumindustrie benutzt werden, betört gleich zu Beginn des Rundgangs die „Riechgalerie“. Blumig, holzig, harzig – alles, was die Nase begehrt, wird in kleine Röhrchen gefüllt und nach Geruchsrichtungen geordnet. Dagegen ziehen einem an der nächsten Station Stinkbomben, Schimmel und Stalldung in die Nase.

Hoch und Tief halten sich auch im folgenden Verlauf des Rundgangs die Waage: mal hört man das beruhigende Rauschen eines mit Hülsenfrüchten gefüllten peruanischen Regenrohrs, und ein anderes Mal wühlt der Besucher mit verbundenen Augen in einem Topf voll feuchter Erde und glitschigen Regenwürmern.

Auch kuriose Gerätschaften fehlen nicht: Eine selbstgebastelte, mehrere Meter lange Wasserorgelpfeife bringt, in die Spree getaucht, durch den Druck des Wassers bis zu drei Oktaven hervor, und ein Hörspiegel, der aussieht wie eine Satellitenschüssel, verstärkt die Töne, so daß selbst das Fahrradklingeln vom gegenüberliegenden Flußufer zu hören ist.

Die kreative Zusammenstellung der Objekte und Arrangements ist das Gelungene an dieser Ausstellung. Der Rundgang durch den „Garten der Sinne“ ist jedoch eher eine Entdeckungstour für Pfadfindergruppen als ein Lustwandeln durch eine Reihe von anregenden Kunstobjekten. Einen königlichen Park von Sanssouci darf man hier nicht erwarten, was man vorfindet, ist eher ein Abenteuerspielplatz der anderen Art.

Von einigen der angekündigten Installationen ist noch nicht viel zu sehen. Bei Niko Tenten liegt es an der Planung: Seine Idee, die Gesänge aussterbender Fischsorten mit einem wasserdichten Mikrophon im Inneren eines Aquariums abzuhören und über Lautsprecher der Außenwelt zugänglich zu machen, scheiterte bislang an mangelnder Zeit für das Projekt. Die Objekte von Michael Stalherm und Helga Franz sind hingegen naturgemäß noch im Werden begriffen.

Bei dem Kunstwerk „Kristalline Ereignisse“ von Helga Franz müssen die Ablagerungen der flüssigen, bunten Kristallösungen an den gläsernen Wänden von Behältern erst noch wuchern, und das geplante Objekt Stalherms, eine Bienenwabe, in deren Mitte der Kopf der Sphinx ausgespart ist, muß von den Insekten noch bearbeitet werden. Bei der Naturkunst muß man folglich wie bei der eigenen Blumenzucht Geduld aufbringen, bevor sich das Resultat in seiner Prächtigkeit entfaltet oder zuweilen auch mißlingt. Julie Annette Schrader

„Sensorama – Garten der Sinne“, bis 4. 8., Sa./So., 13–24 Uhr, Alt- Stralau 28/29, Friedrichshain

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen