Ex-Nazi verläßt Argentiniens Kabinett

Weil seine Vergangenheit bekanntgeworden ist, muß Justizminister Rudolfo Barra gehen. Er ist für die schleppenden Ermittlungen zum Anschlag auf die jüdische Gemeinde verantwortlich  ■ Von Bernd Pickert

Berlin (taz) – Argentiniens Justizminister Rodolfo Barra ist am Mittwoch abend zurückgetreten. Nachdem das Nachrichtenmagazin Noticias Ende Juni unter dem Titel „Herr Minister“ ein Foto veröffentlicht hatte, das einen jugendlichen Barra in den 60er Jahren als Mitglied einer Neonazigruppe beim Hitlergruß zeigte, war der Minister unter starken Druck geraten. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum forderte eine detaillierte Untersuchung der Vergangenheit Barras, und die jüdische Gemeinde Argentiniens – mit 500.000 Mitgliedern die fünftgrößte der Welt – war entsetzt. Barra war als Justizminister verantwortlich für die Ermittlungen zum Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum „Amia“ in Buenos Aires, bei dem am 18. Juli 1994 86 Menschen getötet und 300 verletzt worden waren.

Die Tageszeitung Pagina/12 hatte darüber hinaus berichtet, Barra sei als Mitglied einer studentischen Nazigruppe, die zur Organisation „Tacuara“ gehörte, an mindestens einem Anschlag auf eine Synagoge beteiligt gewesen. Barra wiese diese Anschuldigung zurück. Tacuara wird auch für den Mord an einem jüdischen Rechtsanwalt im Februar 1964 verantwortlich gemacht.

Barra hatte die Mitgliedschaft in der Organisation eingestanden, jedoch sofort versucht, sie als Jugendsünde abzutun: „Ich war niemals Mitglied einer Organisation, die – soweit ich das als 14jähriger abschätzen konnte – nationalsozialistisch ausgerichtet war“, schrieb er in einer Erklärung. Als überzeugter Katholik sei ihm die nationalsozialistische Ideologie völlig fremd.

Die Ermittlungen im Amia-Fall stocken seit langem. Die argentinische Regierung machte angebliche iranische Extremisten für das Attentat verantwortlich und verdächtigte vier Angehörige der iranischen Botschaft in Buenos Aires – was nicht unerhebliche diplomatische Verstimmungen auslöste.

„Hunderte von Spuren“, so hatte Innenminister Carlos Corach im Mai dieses Jahres erklärt, seien verfolgt worden. „Aber wir haben immer unter der Annahme gearbeitet, daß hier ausländische Auftraggeber lediglich nationale Logistik benutzt haben.“

Das könnte ein Fehler gewesen sein. Eigentlich hätte es nahe gelegen, in den Reihen der argentinischen Militärs Nachforschungen anzustellen. Deren Antisemitismus war nicht erst seit der Diktatur in den Jahren 1976 bis 1983 bekannt, als antijüdische Hetze zum guten Ton gehörte. Aber erst im Dezember letzten Jahres wurde gesucht – und gefunden. Ein gutes Dutzend Militärangehörige wurden verhaftet, nachdem bei ihnen ein ganzes Arsenal von Sprengstoffen und Granaten gefunden worden war. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Rubén Bareja, vermutete damals öffentlich, daß man unter den Verhafteten wohl auch diejenigen finden werde, die den Sprengstoff für den Amia-Anschlag zur Verfügung gestellt hätten.

Doch konkrete Verbindungen zum Anschlag konnten bislang nicht nachgewiesen werden, die Anschuldigung lautet zunächst nur auf illegalen Waffenhandel. „Wir haben den Hauptteil dieser illegalen Organisation, jetzt fehlen uns noch die Details“, hatte Ermittler Eamon Mullen damals gesagt, meinte aber, in den sichergestellten Unterlagen fänden sich „einige Indizien, die diese Leute mit den Urhebern des Amia-Attentates in Verbindung bringen könnten. Wir stehen erst am Anfang.“ Und dabei ist es bislang auch geblieben.

Verstimmt ob der schleppenden Ermittlungen zeigte sich Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel: „Warum dauert es so lange, die Mörder zu finden? Was stimmt nicht in der argentinischen Gesellschaft?“ Es könnte sein, daß die neuen Erkenntnisse über die Vergangenheit von Justizminister Barra Antworten auf diese Fragen bieten. Zunächst aber wird nächsten Donnerstag auch der zweite Jahrestag des Attentats begangen werden, ohne daß die Täter überführt sind.