piwik no script img

■ QuerspalteZwang zum Glück

Achtlinge in Birmingham, Vierlinge in Berlin, und mir ist auch schon ganz blümerant. Groß ist das Boulevardgeschrei, und immerzu regen sich die Leute über die falschen Sachen auf: Niemand malt die schrecklichen Folgen eines achtsitzigen und vollbesetzten Kinderwagens für friedliche Fußgänger an die Wand; statt dessen wird moralische Empörung gebolzt über ein britisches Pärchen, das in Erwartung von Achtlingen einen Kontrakt mit einer Zeitung eingegangen ist, der ihm für jedes gesund geborene Baby 300.000 Mark garantiert. Was kann man dazu sagen als „So geht das“ oder „Müssen Sie wissen“?

Auch in Berlin sind fundamentalistische Lebensschützer am Start. Eine junge Frau, der Vierlinge angedroht sind, wird von der BZ zur Madonna aufgebaut: Da sie und ihr Mann bereits ein Kind haben und sich vier weitere nicht leisten können, erwägen sie nun, zwei der vier Embryonen abtreiben zu lassen.

Man weiß schon, was als nächstes passiert: Sadisten, die sich für gute Menschen halten, werden die junge Frau mit Briefen bombardieren, worin zu lesen steht: Halt durch, Kind!

Rachitische Lebensschützer, Leute also, die sichtlich alles hassen, was lebt und sich frei zu bewegen versucht, werden ihren boshaften religiösen Senf dazugeben. Die eigentliche Infamie in dieser Angelegenheit wird unbemerkt bleiben: „Joanna (22) müßte eigentlich überglücklich sein. Denn sie ist schwanger. Doch Joanna ist zutiefst verzweifelt“, schreibt die BZ am 14. August. Die Botschaft ist klar: Wer schwanger ist, hat glücklich zu sein und ansonsten die Klappe zu halten.

Ende der Siebziger, als sie ihre Zwetschgen noch beieinander hatte, schrieb und sang Nina Hagen: „Ich war schwanger, fand's zum Kotzen, ich wollt's nicht haben, brauchste gar nicht erst nach fragen.“ Und auch Karl Kraus sah und formulierte klar: „Die meisten meiner Mitmenschen sind traurige Folgen einer unterlassenen Fruchtabtreibung.“

Dafür ist jeder Lebensschützer ein lebender Beweis. Wiglaf Droste

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen