: Der Termitenator
Justizsenator kämpft mit Ameisen gegen Termiten und die Unterminierung des Rechtsstaates ■ Von Silke Mertins
Sie krabbelt, frißt, höhlt aus und vermehrt sich milliardenfach in der Hamburger Unterwelt: Die Gelbfüßige Nordamerikanische Bodentermite (Reticulitermes flavipes). Wäre Justitia aus Holz – die hanseatische Gerechtigkeit wäre längst zerfallen. Bis in das Erdgeschoß des Oberlandesgerichts am Karl-Muck-Platz hatten die fleißigen Insekten sich bereits vorgearbeitet. Das Wasser lief den Tierchen angesichts der leckeren Holzfenster, Türrahmen und der vielen, vielen Gerichtsakten bereits in den kleinen Mäulchen zusammen. Doch dann kam er, der Termitenator: Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem (parteilos).
„Ich habe mich nach meinem Amtsantritt mit Lichtbildvortrag und allem drum und dran in das Thema eingearbeitet“, erklärt der Senator exklusiv im taz-Gespräch. Vorbei war's mit der ausgewogenen Ernährung und der freien Entfaltung termitisch-nordamerikanischer Persönlichkeiten in Richtung Neustadt. Im Abendgymnasium Holstentor hatte Hoffmann-Riem Überreste von Bibliotheksbüchern bereits in Augenschein genommen. „Da steht nur noch der Buchrücken, fein säuberlich ausgehöhlt – das sieht sehr eindrucksvoll aus.“
Aber eindrucksvoll hin oder her, „wir wollen verhindern, daß die Termiten bis zum Rathaus vordringen“. Denn das steht auf Holzpfählen, und die Hamburger Landespolitik könnte termitologisch betrachtet in sich zusammenfallen. Die Lage ist ernst. „Wir haben mit unserem kontrollierten Beobachtungsprogramm aber alles im Griff“, versichert der Senator.
Und da Kriegsführung auch eine Frage des Geldes ist, hat Hoffmann-Riem erst einmal den behördlichen Termiten-Bekämpfungs-Etat von 35.000 auf 80.000 Mark aufgestockt. Auf seinem Konferenztisch stehen die nur vier bis sechs Millimeter großen Termiten eingeschmolzen in Glas. Während langer Besprechungen lenkt der Senator sich gerne damit ab. Die Halbkugel mit den gefräßigen Krabbeltieren zu betrachten, „die Kriegertermiten und die Arbeitstermiten zu suchen oder sich zu fragen, wieso man die Königinnen nie findet“, ist eine feine Beschäftigung für die Augen. Und erinnert außerdem „an die Feinde der Justiz“, die die Gerechtigkeit zu unterminieren trachten.
Während die Königin der gemeinen Durchschnittstermite etwa 50.000 Nachkommen im Jahr produziert, schafft die der Gelbfüßigen Nordamerikanischen Bodentermiten 32.000 bis 34.000 pro Tag. Pro Tag! Und sie lebt unterirdisch, also unauffindbar.
Die in den 30er Jahren mit Holzimporten aus Nordamerika eingereiste Reticulitermes hat sich außerdem längst akklimatisiert. Sie fühlt sich dort besonders wohl, wo die Fernwärmerohre vom Oberlandesgericht quer rüber zum Ziviljustizgebäude verlaufen. In den 60er Jahren bekämpfte man sie mit Chemiekeulen. „Das muß kriminell gewesen sein“, gruselt es den Senator. Er sucht hingegen nach der „ökologischen Wunderwaffe“.
Was bisher geschah: Lange Holzstücke wurden und werden rings um die Hamburger Gerichtsbarkeit in den Boden gesteckt und den Termiten als Köder dargeboten. Haben sich die Tierchen häuslich eingerichtet, ist es mit der Gemütlichkeit bald vorbei. Im Labor findet das krabbelige Leben ein jähes Ende.
Wie viele trotzdem übrig bleiben, weiß niemand. „Man kann den Befall nicht genau feststellen, denn man sieht sie ja nicht“, bescheidet Behördensprecherin Sabine Westphalen. Das macht eigentlich nichts, denn unsere augen- und flügellose Bodentermite kann auch nichts sehen.
Selbst den Feind nicht. Der heißt Ameise und haßt und frißt Termiten. Weil Senator Hoffmann-Riem nicht die Experimente mit umweltunschädlichen Termitenvernichtungsmitteln in Kanada abwarten will, schlägt nun die Natur zurück. Hinter dem Oberlandesgericht hat die Behörde ein Nest Bodenameisen angesiedelt. Erste Erkenntnisse: „Die Ameisen siegen.“
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