: Besetzte Häuser: Heute noch rund ein Dutzend
Wieviel besetzte Häuser gibt es in Berlin? 8 behauptet die Innenverwaltung, 15 spuckt der Computer der Bauverwaltung aus. Klar ist nur, daß es sich ausschließlich um sogenannte Altbesetzungen von 1990 handelt. Die kurze Zeit zwischen Maueröffnung und Wiedervereinigung hatten damals Tausende genutzt, um zwar illegal, aber schnell Wohnraum zu schaffen und Leerstand zu beseitigen. Etwa 150 Häuser wurden damals besetzt.
Erst als der Berliner Senat nach dem 3. Oktober 1990 auch wieder die Regierungsgewalt über den Ostteil der Stadt ausübte, fanden die Neubesetzungen ein Ende. Die sogenannte „Berliner Linie“ zum Umgang mit besetzten Häusern wurde auf Ostberlin übertragen. Fast alle Neubesetzungen wurden nun umgehend durch Räumung beendet. Den bereits besetzten Häusern wurden Vertragsverhandlungen angeboten. Seither konnten 102 Häuser legalisiert werden. 30 Projekte erlangten sogar langjährige Nutzungsrechte und sanierten ihren Wohnraum mit finanzieller Unterstützung des Landes in Selbsthilfe.
Die „Berliner Linie“ war 1981 kurz vor seiner Abwahl noch von dem SPD-geführten Senat unter dem damaligen Regierenden Hans-Jochen Vogel erlassen worden. Auch damals waren innerhalb weniger Monate über 160 Häuser in Westberlin besetzt worden. Weite Teile der Stadt drohten durch Leerstand zu verrotten. Kahlschlagsanierung und überdimensionierte Autobahnplanungen beherrschten die Stadterneuerung. Mit der „Berliner Linie“ wurde in den 80ern die Legitimität der Besetzungen ein Stück weit anerkannt. So sollten Räumungen nur noch möglich sein, wenn eine unmittelbare Anschlußnutzung durch Abriß oder Sanierung nachgewiesen werden konnte. Bis heute prägen legalisierte Häuser vor allem in Kreuzberg das Straßenbild.
Doch wie interpretationsfähig die „Berliner Linie“ ist, zeigte schon wenige Monate später der neue Innensenator Heinrich Lummer (CDU). Am 22. September 1981 ließ er acht Häuser auf einen Schlag räumen. Dabei wurde der 18jährige Klaus-Jürgen Rattay von Polizisten auf eine dichtbefahrene Straße getrieben und von einem Bus überfahren. Auch der heutige Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) nutzt die „Berliner Linie“ als Anleitung zur Räumung. Das, obwohl das Konzept Bestandteil der Koalitionsvereinbarung wurde. Die mitregierende SPD aber schweigt sich beharrlich aus – die Berliner Linie ist nur noch ein Papiertiger. ga
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